Familiäre Pferdebegeisterung : Ist Reiten erblich?
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Die deutschen Springreiter Andre Thieme (mit Tochter Johanna), Marcus Ehning, David Will, Bundestrainer Otto Becker und Christian Kukuk freuen sich über den Gewinn der Silbermedaille in der Mannschaftswertung. Bild: dpa
Schon die Eltern Thieme und Will und der geniale Opa Kukuk frönten der Pferdeleidenschaft. Nur Vater Ehning tanzt ein wenig aus der Reihe. Die Springreiter haben besondere Familiengeschichten.
Nicht nur die Pferde, auch ihre Reiter haben oft einen speziellen Stammbaum. Schaut man sich zum Beispiel das deutsche Springreiter-Quartett an, das bei den Europameisterschaften in Riesenbeck am Start war und gemeinsam die Silbermedaille gewann, so kommt man wie von selbst auf die Frage: Ist Reiten erblich?
André Thieme, der am Sonntag zudem im Einzel Europameister wurde, hat die Pferdebegeisterung von seinem Vater Michael Thieme, der einst in der DDR ein erfolgreicher Dressurreiter und Obersattelmeister in Redefin, am Landgestüt von Mecklenburg-Vorpommern, war. Christian Kukuk ist bereits die dritte Generation, angefangen bei seinem Großvater Franz Kukuk, der ein legendärer Dressurtrainer und Hauptsattelmeister am nordrhein-westfälischen Landgestüt in Warendorf war. David Wills Eltern wiederum leiteten lange Jahre die Reitschule auf Gut Ising am Chiemsee.
Nur einer tanzt ein wenig aus der Reihe: Marcus Ehning aus Borken, seit Jahrzehnten mit deutschen Championatsmannschaften unterwegs und einer der größten Stilisten der Welt, hat keine reitenden Vorfahren. Man könnte sogar meinen, dass sein Vater Richard ein wenig für das Gegenteil steht. Doch auch Ehning beruft sich auf eine Art Tradition: „Es ist für mich ein Phänomen, aber es gibt extrem viele Vieh- und Fleischhändler, die immer Pferde hatten. Man sagt immer, es ist nicht so, aber ich glaube, dass sie trotzdem eine gewisse Beziehung zum Tier haben.“ Diese Leute hätten ganz allgemein ein Auge für Tiere, auch wenn es um die Einschätzung ihrer sportlichen Qualitäten geht.
„Pferdevirus von Eltern aufgenommen“
André Thieme hat bei den Olympischen Spielen in Tokio sein erstes Championat bestritten und war in Riesenbeck einer der drei deutschen Europameisterschafts-Debütanten, obwohl er schon 46 Jahre alt und schon lange im Geschäft ist. Als Junge war er eigentlich fußballbegeistert. „Aber ich habe von meinen Eltern das Pferdevirus aufgenommen.“ Außerdem hätte ihm im Fußball sein Vater nicht weiterhelfen können, im Reiten aber schon. Der junge Mann machte eine Lehre beim Landgestüt, wo sein Vater für die Lehrlingsausbildung zuständig war. „Ich wurde von der Pike auf zum Pferdemann erzogen“, erzählt Thieme.
Es war nicht immer leicht. „Mein Vater war immer da. Er ist ein sehr ruhiger, lieber, sehr menschlicher Kerl. Aber wenn so einer immer da ist und dir immer auf die Finger kuckt... Wir haben jahrelang zum Frühstück, zu Mittag, zum Kaffeetrinken und Abendbrot am selben Tisch gesessen, das heißt, da war eine ständige Fehlerauswertung.“ Thieme beschreibt sich selbst als nachgiebig: „Ich war schon nie der Typ, der aufgemuckt hat.“
Erst als er das Goldene Reiterabzeichen in der Dressur in der Tasche hatte, durfte er sich auf Springen spezialisieren. Das Ergebnis unter anderem: drei Siege im Deutschen Derby in Hamburg. Und ein erfolgreiches zweites Standbein bei den Winterturnieren in den USA, wo er schon viel Geld gewonnen hat und lukrativen Handel treibt. „Ich kann ein Lied davon singen, wie glücklich ich über die deutsche Wiedervereinigung bin“, sagt Thieme, der zur Wendezeit noch zur Schule ging. „Mir wurden Dinge ermöglicht, die mein Vater im Sport leider nie erreichen konnte.“