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Russisches Doping-System : Blaupause des Betrugs

Mahnmal: der 400-Meter-Weltrekord von Marita Koch von 1985 gilt noch heute Bild: dpa

Der Skandal um die russische Leichtathletik erinnert an das System der DDR: „Der Anti-Doping-Kampf ist gescheitert.“ Das IOC reagiert routiniert und defensiv.

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          Bei den Olympischen Sommerspielen von London 2012 sind wahrscheinlich in verschiedenen Sportarten Athleten angetreten, die zuvor positiv auf Doping getestet worden waren und durch Bestechung und Manipulation eine Sperre umgingen. Einige von ihnen sollen Medaillen gewonnen haben. Darüber hinaus dürften Offiziere des russischen Geheimdienstes FSB bei den Winterspielen von Sotschi 2014 im Kontrolllabor Doping-Tests manipuliert und positive Ergebnisse verschwinden lassen haben. „Sabotage“ an den Spielen nennen dies Richard Pound und seine Ermittlungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada).

          Michael Reinsch
          Korrespondent für Sport in Berlin.

          Man könnte auch von Betrug an sauberen Athleten und einem Angriff auf die Integrität der Spiele sprechen. „Hatte immer den Verdacht, endlich bestätigt, dass der russische Leichtathletikverband mir die größten Momente meiner Karriere gestohlen hat“, twitterte die britische 800-Meter-Läuferin Jenny Meadows. Robin Schembera, ebenfalls Mittelstreckenläufer, forderte auf Facebook, der deutsche Verband solle sich vom Welt-Leichtathletikverband (IAAF) distanzieren und außerdem seine von den Resultaten gedopter Athleten definierten Qualifikationsnormen ändern. Wut und Enttäuschung sprachen aus seiner Tirade: „Ein paar von Geld und Korruption getriebene Sportfunktionäre sondern wieder die üblichen Floskeln ab.“

          Tatsächlich wirkt die Reaktion auf den Skandal routiniert und defensiv. „Tief schockierend und sehr traurig“ nannte das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Bericht und suspendierte am Dienstag sein Ehrenmitglied Lamine Diack, der als IAAF-Präsident gedopte Athleten erpresst und vor Doping-Sperren geschützt haben soll. Seinem Nachfolger Sebastian Coe sprach das IOC Vertrauen aus, dass er saubere Athleten schützen und das Vertrauen in den Sport wiederherstellen werde - der Mann, der acht Jahre lang Vizepräsident an der Seite von Diack war und diesen als Förderer, Berater und Inspiration lobte.

          Wenn der Bericht der Sonderermittler Verstöße gegen die Regularien ergebe, versprach das IOC, werde es mit seiner üblichen Politik von null Toleranz reagieren; auch der Entzug olympischer Medaillen werde geprüft.

          Wenn es Verstöße gebe? Dass IOC-Präsident Thomas Bach nach diesem Scherbengericht für den olympischen Sport lediglich eine Komposition aus den Versatzstücken seiner üblichen Verlautbarungen verbreiten ließ, statt das Wort zu ergreifen, muss nicht daran liegen, dass er ein besonders enges Verhältnis zum obersten russischen Sportfreund Wladimir Putin unterhält. Vielleicht ist er auch gelassen, weil er die Blaupause des Betrugs längst kennt.

          Was die Sonderermittler nach fast einem Jahr Arbeit beschrieben, entspricht weitgehend dem System des DDR-Dopings, das 1991 der Heidelberger Krebsforscher Werner Franke in dem Buch „Doping-Dokumente“ entlarvte. Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass er in den Wirren der Wende geheime wissenschaftliche Arbeiten an sich nahm und zweifelsfrei belegte, dass der Arbeiter-und-Bauern-Staat sein Kontrolllabor in Kreischa vor allem dazu nutzte, flächendeckendes Doping zu vertuschen. Dass Athleten mit höchster staatlicher Billigung zum Doping gezwungen wurden. Dass der Staatssicherheitsdienst Widerspenstige gefügig machte oder aus dem Sport entfernte. So groß damals die Empörung in Deutschland, so gering war der Widerhall in der weiten Welt des Sports. Zwar gab es vor deutschen Gerichten spektakuläre Prozesse, in denen Sportführer der DDR wie Manfred Ewald wegen Körperverletzung verurteilt wurden. Doch die Triumphe der nachweislich gedopten Athleten blieben bestehen.

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