Boxen : „Der Größte“ machte Karl Mildenberger berühmt
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Der Kampf gegen Ali am 10. September 1966 Bild: dpa
„Ein wahrer Gentleman, der zweitschnellste Schwergewichtler der Welt.“ Mit diesen Worten adelte Muhammad Ali, eigentlich für großmäulige Tiraden bekannt, seinen Gegner Karl Mildenberger. Heute feiert der Ringheros seinen 70. Geburtstag.
Karl Mildenberger wankte, aber er fiel nicht. Der tapfere Pfälzer stand aufrecht, als Teddy Waltham fand: Es ist genug. Eine Minute und dreißig Sekunden der zwölften Runde waren vergangen. "Ein weiterer Schlag hätte furchtbare Folgen haben können", begründete der englische Ringrichter seine Entscheidung. Muhammad Ali streckte beide Arme in Siegerpose in den Frankfurter Nachthimmel, aber mit einem Gesichtsausdruck der Erleichterung und nicht des Glücksgefühls.
Später in der Kabine hastete der Champion sofort zum Spiegel. Dass sein Körper schmerzte von diesen harten linken Treffern des unbequemen Rechtsauslegers, davon macht Ali kein Aufhebens. Offene Bewunderung, keine großmäuligen Tiraden kamen über seine Lippen: "Mildenberger ist ein wahrer Gentleman, der zweitschnellste Schwergewichtler der Welt, der am besten aussehende weiße Boxer. Ich bin erst in der zwölften Runde mit ihm fertig geworden, in einem Kampf, von dem jedermann geglaubt hatte, ich würde leichtes Spiel haben."
30.000 feiern den Verlierer
Im Ring wurde der tapfere Verlierer wie ein Triumphator von seinem Anhang auf die Schulter gehievt. Auch der Verlierer, im Gesicht von Blessuren schwer gezeichnet, hob die Arme in triumphaler Pose. Es war der 10. September 1966, als die Abbruchniederlage im ersten Weltmeisterschaftskampf des Schwergewichts in Deutschland zum größten Sieg in der großartigen Karriere Mildenbergers wurde. 30.000 Pfälzer bereiteten ihm in Kaiserslautern mit Transparenten "Wir grüßen unseren Vize-Weltmeister" einen Empfang wie den fünf 54er Fußball-Weltmeistern. An diesem Freitag feiert der Ringheros seinen 70. Geburtstag - anders als sein an der Parkinsonschen Krankheit leidender Bezwinger bei bester Gesundheit.
Die lokale Größe ist nicht vergessen. Die Stadt und der 1. FC Kaiserslautern, in dessen Trikot Mildenberger bei den deutschen Amateur-Meisterschaften 1958 den Titel im Halbschwergewicht erkämpfte, geben dem Jubilar zu Ehren am 2. Dezember einen Empfang im Fritz-Walter-Stadion. Auch Frankfurt würdigt seinen Lokalmatador der sechziger Jahre: Der neue exklusive Night Club "Rough Diamond" lädt an diesem Freitag zur großen Party, in deren Mittelpunkt "Milde" steht.
„Heimatloser“ Champion
Einem Reim verdankt Karl Mildenberger seinen Ruhm. "Keep asking me, no matter how long - On the war in Viet Nam, I sing this song - I ain't got no quarrel with them Viet Cong." Sinngemäß übersetzt: "Und wenn ihr mich noch so oft danach fragt- ich habe nichts gegen den Vietkong." Der Vers war die Antwort Alis auf den Beschluss der Musterungsbehörde seiner Heimatstadt Louisville, die ihn im Februar 1966 für kriegsverwendungsfähig erklärt hatte. Alis Antikriegsgedicht empörte die Vereinigten Staaten.
Der Bürgermeister von Chicago und der Gouverneur von Illinois verboten den angesetzten Kampf gegen Ernie Terrell. Kein Bundesstaat und keine Stadt waren im Frühjahr 1966 bereit, den "Anti-Amerikaner" in den Ring zu lassen. Für den "heimatlosen" Champion begann ein Wettlauf mit der Zeit bis zur Einberufung zum Wehrdienst, den er dann im April 1967 verweigerte, dafür verurteilt, entthront und gesperrt wurde. Ali "flüchtete" zum Boxen und Geldverdienen ins Ausland: Nach Toronto zum Kampf gegen George Chuvalo, nach London zur Titelverteidigung gegen Henry Cooper und Brian London und schließlich nach Frankfurt.
„Mein bestes Kampfgewicht“
In der ersten Reihe hielten die Filmstars Ursula Andress und Jean-Paul Belmondo verliebt Händchen. Joe Louis und Max Schmeling steckten die Köpfe zusammen. 25.000 Zuschauer im Frankfurter Waldstadion skandierten "Milde, Milde". Doch keiner glaubte ernsthaft daran, Mildenberger könnte gegen Cassius Clay, wie er in Amerika immer noch genannt wurde, zu einer Jahrhundert-Sensation fähig sein. Maximal drei Runden hatten die Experten dem deutschen Herausforderer zugestanden. Deswegen war das Ereignis dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch nicht die geforderte eine Million Mark wert. ARD und ZDF mussten draußenbleiben.
In seiner zehnjährigen Profikarriere kämpfte der Europameister gegen die Besten der Welt jener Zeit wie gegen Eddie Machen, Zora Folley, Amos Lincoln, Henry Cooper, Oscar Bonavena, Leotis Martin und eben gegen Ali. Sechsmal in vier Jahren verteidigte Mildenberger seinen 1964 durch einen K.-o.-Sieg in der ersten Runde gegen den Italiener Sante Amonti errungenen EM-Titel, dabei zweimal in London, wo er nach der Disqualifikation gegen Henry Cooper am 18. September 1968 seine Karriere beendete. Der Kampfrekord: 53 Siege, 6 Niederlagen, 3 Unentschieden.
Als rüstiger Rentner mit vollem, schlohweißem Haar lebt Karl Mildenberger mit seiner zweiten, 16 Jahre jüngeren Frau Miriam "gesund und zufrieden" in seinem Haus im pfälzischen Hohenecken. Stolz verweist der einstige Champion auf seine schlanke Figur: "Mein bestes Kampfgewicht. 88 Kilo wie gegen Ali."