Kommentar Sport : Auf Tuchfühlung
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Wer weiß, vielleicht läuft es sich mit Kopftuch ja schneller. Beantworten kann man diese Frage vermutlich erst nach einem Windkanaltest mit und ohne Haube. Für die Sprinterin Ruqaya Al Ghasara aus Bahrein gibt es aber keine Diskussion mehr.
Wer weiß, vielleicht läuft es sich mit Kopftuch ja schneller. Beantworten kann man diese Frage vermutlich erst nach einem Windkanaltest mit und ohne Haube. Für die Sprinterin Ruqaya Al Ghasara aus Bahrein gibt es aber keine Diskussion mehr. Mit Kopftuch und einem Rennanzug bis zu den Füßen hinunter ist sie allen davongelaufen über 200 Meter bei den Asien-Spielen und hat dafür 23,19 Sekunden gebraucht. Hut - pardon - Kopftuch ab.
Nein, das wäre nicht höflich. Schließlich geht es der schnellen Dame mit ihrer Wahl für die (noch) ungewöhnliche Sportkleidung nicht etwa um einen Leistungsvorteil. Frau Al Ghasara ist Muslimin und offensichtlich in jeder Lebenslage gläubig. Allerdings glaubt sie nicht nur an den Propheten oder die griechische Siegesgöttin Nike, sondern wohl auch an den Segen des Sportartikelherstellers Nike. Andernfalls hätte sie vermutlich auf das Logo des amerikanischen Unternehmens über ihrem verdeckten Ohr verzichtet. Übrigens ist der Nike-Haken ein Symbol für Flügel, wie sie einst die Göttin Nike zum Sieg trugen.
Wer nun wen beflügelt, das ist noch nicht abzusehen. Aber es sieht so aus, als stünden Ruqaya Al Ghasara große Sprünge bevor. Wenn nicht mehr als (zu spät berufener) Sprinterin, dann aber als Vorläuferin. Denn die 24jährige Athletin wird Schule machen mit der Kleiderordnung: Wer ein Kopftuch trägt, muß deshalb noch nicht hinterherlaufen! Das ist ihre Botschaft an die Frauen in muslimischen Gesellschaften, die, von manchen Religionsführern oder Koran-Interpreten schwer eingeschüchtert, den Weg zum Spitzensport nicht wagen.
Es bewegt sich etwas. Noch wird das in Europa gern gesehen. Aber schon mit Blick auf die nächsten Olympischen Spiele in Peking schwant deutschen Leistungssportexperten nichts Gutes. Der Anteil deutscher Sportler an den Medaillen wird weiter sinken. Weil die Chinesen zupacken. Das ist auch Ausdruck der Annäherung des asiatischen Leistungsvermögens an das Niveau des von Europa und Amerika geprägten Spitzensports. Sie wird 2012, sozusagen auf dem Territorium der Europäer in London, fortgesetzt. Bis dahin sind Sportler kleiner asiatischer Länder, die sich auf wenige Sportarten konzentrieren, gut genug, den arrivierten Olympianationen Gold und Silber abzujagen. Das wird vielen, die nur mit Siegen öffentliche Budgets rechtfertigen können, weh tun. Zum Beispiel den Deutschen.
Die Entwicklung der Sportwelt Asiens wird sich nicht nur am Medaillenspiegel ablesen lassen. Die Kraft des asiatischen Spitzensports, die Attraktivität der riesigen Märkte hinter den Olympiasiegern von morgen reicht vermutlich über die Einführung neuer, zumindest Europäern oder Amerikanern fremder Sportarten hinaus. Sie wird ideologische Grenzen überwinden. Das zeigt der (Lebens-)Lauf der Ruqaya Al Ghasara.