Unterschiedstrainer Gislason? : Neuer Spaß am Handball
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Alfred Gislason: Ein bisschen mehr Lebensfreude, etwas weniger Verbissenheit und die Erkenntnis, auch mal loslassen zu dürfen Bild: EPA
Endlich darf der Isländer nur Trainer sein – und findet eine Sprache, die seine Spieler verstehen. Das macht Hoffnung für die Einlösung eines Versprechens bei der kommenden Handball-EM in Deutschland.
Als Alfred Gislason vor drei Jahren seine Tätigkeit des Handballbundestrainers begann, lag die Messlatte ziemlich hoch. „Unterschiedstrainer“ nannte ihn Uwe Schwenker, der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB). Gislason sollte einer sein, der Nationalspieler besser macht, der auch mal Schiedsrichter und Kampfgericht beeindruckt und im situativen Coaching die Erfahrung unzähliger großer Spiele in richtige Entscheidungen ummünzt.
Dann kam die Pandemie. Gislason war nicht als Handballlehrer gefragt, sondern als Krisenmanager. Deswegen war das bisherige Abschneiden in den drei Turnieren unter ihm mit einem Sternchen versehen – in der Legende stand dann, dass es auch besondere Umstände waren, die für mäßige bis schwache Platzierungen sorgten. Vom erwünschten Halbfinale war der DHB aber unter Gislason weiter entfernt als unter seinem Vorgänger Prokop. Gislasons Ruf litt.
Vor und während dieser Weltmeisterschaft in Polen und Schweden durfte der 63 Jahre alte Isländer endlich nur Handballtrainer sein. Ausbilder, Systementwickler. Und siehe da: Er findet eine Sprache, die seine gar nicht so jungen, aber international meist unerfahrenen Spieler verstehen. Er konstruiert einen Handball, in dem sich jeder wohlfühlt. Und er vertraut in Juri Knorr und Julian Köster zwei 22-Jährigen, die nicht nur Gegenwart, sondern auch Zukunft des deutschen Handballs sind.
Leichtigkeit, Teamgeist, Spielfreude: All das erfreute die Handballfans fünf Spiele lang. Flüssige Angriffe über alle Positionen, ein Zusammenhalt, der, in Bratislava vor einem Jahr entstanden, mehr als nur ein Lippenbekenntnis war, und Gislasons Mut, auch der jeweiligen Zweitbesetzung zu vertrauen, verbanden sich zu einem harmonischen Ganzen. Dabei musste sich Gislason an manchen Stellen neu erfinden.
Ein bisschen mehr Lebensfreude, etwas weniger Verbissenheit und die Erkenntnis, auch mal loslassen zu dürfen, reichten zusammen mit erfrischenden Auftritten, um das ganze Gebilde Nationalmannschaft luftiger und weniger bierernst wirken zu lassen als bei früheren Turnieren. Vielleicht ist das sogar die größere Leistung, als ein Halbfinale zu erreichen. Stellvertretend für den neuen Spaß am Handball steht Juri Knorr.
Das Halbfinale haben Gislason und die Deutschen trotzdem auch diesmal verpasst. Gegen Norwegen und Frankreich fehlte es schlichtweg an individueller Klasse und Kaderbreite – wie sollte es auch anders sein, wenn im Rückraum Spieler aus Leipzig, Melsungen und Erlangen auf Profis aus Barcelona, Kiel und Kielce treffen. Da stieße jeder Trainer an seine Grenzen.
Die Auswahl könnte zur Heim-EM in einem Jahr größer werden. Hendrik Pekeler, Timo Kastening, Fabian Wiede und Julius Kühn spielen auf Positionen, die diesmal am Ende zu schwach besetzt waren. Kommen sie hinzu, kann Gislason um Juri Knorr, Johannes Golla, Julian Köster und Andreas Wolff eine interessante Mannschaft bauen, die Ende Januar 2024 tatsächlich für Medaillen in Betracht kommt. Dass er dann weiterhin der Bundestrainer sein wird, steht nach diesem Turnier außer Frage.