Handball-Präsident Michelmann : „Wir wollen Typen mit Profil“
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Der Hype nach dem WM-Sieg 2007 war von begrenzter Nachhaltigkeit. Die Zahl der Mitglieder im DHB ist inzwischen auf 720.000 gesunken. Was lernen Sie daraus?
Wir haben 2019 schon aus 2007 gelernt. Den Ertrag der WM 2019 haben wir im Wesentlichen für die Strukturreform des DHB ausgegeben. In die Regionen haben wir je eine halbe Million Euro für Mitgliederentwicklung investiert. Die WM 2019 hat gewirkt, das hat man an den Zahlen gesehen. Aber Corona hatte einen gegenteiligen Effekt. Wenn man nicht Handball spielen kann, ist es schwierig, Leute zum Handball zu bringen. Wir können uns allerdings etwas vom Basketball abschauen, wie die Leistungsklubs in den Schulen werben . . .
Alba Berlin ist ein gutes Beispiel!
... genau. Die sind im Basketball weiter als wir. Jetzt, wo die Pandemie vorbei zu sein scheint, müssen wir sehen, dass wir die Kinder wieder in die Hallen kriegen.
Wie wichtig ist dabei die Nationalmannschaft?
Unsere beste Werbung ist immer sportlicher Erfolg der Nationalmannschaft.
Wünschen Sie sich aus der Mannschaft mehr gesellschaftliche Botschaften?
Unsere Nationalmannschaft, jeder Spieler kann jederzeit seine Meinung äußern. Unsere Aufgabe besteht zunächst darin, sportlich etwas zu leisten. In diesen Zusammenhang gehört auch, die Lehre aus der Fußball-WM in Qatar, unsere oberlehrerhafte Manier abzulegen und nicht allen alles zu erklären. Das steht uns nicht zu.
Ist es oberlehrerhaft, wenn der Kapitän der Hockey-Auswahl jetzt bei der WM mit einer Regenbogenbinde aufläuft?
Das soll jeder machen, wie er möchte. Mich stört es nur dann, wenn es so rüberkommt: „Wir zeigen euch, dass wir moralisch schon viel weiter sind als ihr.“
Würden Sie sich beispielsweise wünschen, dass Juri Knorr, ich fabuliere, mehr erzählt von schwulen Freunden und darüber, dass er es gut findet, wenn jeder so liebt, wie er will ...
Natürlich, das könnte er doch machen. Wir bremsen keine Spieler.
Aber Sie schieben Themen wie Diversität oder Nachhaltigkeit auch nicht an?
Wir leisten unseren aktiven Beitrag mit Projekten wie „HandbALL TOGETHER“ und konkreten Maßnahmen zur ökologischen Nachhaltigkeit. Es gibt keine Maulkörbe. Wir wollen Typen mit Profil haben.
Nehmen Sie wahr, dass sich durch Absagen und Rücktritte der Blick aus dem Ausland auf den deutschen Handball verändert hat? Der dänische Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen sagt, dass solche Absagen wie die von Fabian Wiede in Dänemark nicht denkbar wären.
Ja, das ist wohl so. Ein Teil unseres Problems ist das gebrochene Verhältnis zur Nation. Aber auch die extreme Belastung der Top-Spieler oder die stärkere Bedeutung der Frauen spielen eine Rolle. Und die gesellschaftliche Einstellung zu Leistung und damit auch zum Leistungssport. Wenn wir mit der Spitze mithalten wollen, geht es nur mit Leistung, nicht allein mit Work-Life-Balance.
Für deutsche Spitzenvereine ist die Work-Life-Balance im Werben um junge Spieler mittlerweile sehr bedeutsam.
Für den DHB auch. Auch wir stehen in Konkurrenz zu anderen Arbeitgebern. Und in Bezug auf die Nationalmannschaft haben wir beispielsweise bessere Hotels, bessere Busse eingeführt, damit die Spieler gern zur Nationalmannschaft kommen. Bei dieser WM haben wir zum ersten Mal auch den Spielerfrauen offensiv angeboten, anzureisen. Viele haben es dankbar angenommen. Wir bewegen uns.