Knapper Sieg bei Handball-WM : Deutscher Flirt mit dem Desaster
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Man of the match und Rückhalt seiner Mannschaft: Torwart Andreas Wolff. Bild: Reuters
Nach einer Acht-Tore-Führung brechen die deutschen Handballer gegen Ägypten ein. Torwart Andreas Wolff rettet sein Team in die Verlängerung – und bewahrt die Chance auf eine gute Platzierung bei dieser WM.
Andreas Wolff hatte die Hand dieser Tage häufig am Puls der Mannschaft. Seit er selbst nach Stunden bei einer Psychologin besonnener wirkt, kommt der 31 Jahre alte Torwart auch bezogen auf andere zu stimmigen Analysen.
Als das zittrige 35:34 (17:14, 33:33) der deutschen Handball-Nationalmannschaft nach Verlängerung gegen Ägypten beendet war, sagte Wolff am Freitagabend in Stockholm: „Wir leben von Kampf, Physis und Einsatz. Wenn das nachlässt, schlägt das Spiel komplett um.“
Im Flirt mit dem Desaster verschenkte die deutsche Sieben einen Acht-Tore-Vorsprung aus der 42. Minute, hatte Glück, dass der ägyptische Wurf eine Sekunde vor Abpfiff an die Latte klatschte und behauptete sich immerhin in der Verlängerung – Julian Kösters Treffer in der vorletzten Spielminute bedeutete den Sieg. Beste Torschützen waren Juri Knorr mit sieben Treffern und Johannes Golla und Köster mit je sechs.
Deutschland kopf- und körperlos
Nun spielt Bundestrainer Alfred Gislasons Mannschaft am Sonntag (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM und im ZDF) gegen Norwegen, das Ungarn am Freitagabend 33:25 besiegte, den fünften Platz aus. Gislason sagte: „Es wäre sehr, sehr bitter gewesen, dieses Spiel noch zu verlieren. Es ist umso schöner, dass sich die Jungs in der Verlängerung zusammengerissen haben. Wir haben jetzt noch ein Spiel, um zu zeigen, dass wir die Kraft haben und mit einem Sieg aus dem Turnier gehen.“
Wie kopf- und körperlos seine Mannschaft den satten Vorsprung aus der Hand gegeben hatte, bereitete Gislason indes Kopfzerbrechen. Diesmal waren es 16 technische Fehler, am Mittwoch beim Viertelfinal-Aus gegen Frankreich zwölf. Ohne den wieder überragenden Wolff wäre das glückliche Ende gegen den Afrika-Meister ausgeblieben: 20 Würfe wehrte er ab und erhielt die Auszeichnung „Spieler des Spiels“.
Von Kattowitz über Danzig nach Stockholm, diesen Weg hatten die Deutschen trotz der Niederlage gegen die Franzosen eingeschlagen, um im Vorprogramm der Medaillenspiele aufzutreten. Dabei erwartete sie eine gespenstische Kulisse im überdachten Fußballstadion zu Hammarby – offiziell 3600 Fans, gefühlt deutlich weniger, saßen verstreut in der Tele2 Arena.
Sie sahen, wie die DHB-Auswahl ihr achtes Spiel in 15 Tagen aufmerksam begann. 10:6, 12:7, 14:8: Ägypten, in der K.o.-Runde Schweden deutlich unterlegen, wirkte früh auf Abstand gehalten. Es war wie so oft bei dieser WM: Wolff hielt, Kapitän Johannes Golla überzeugte vorn wie hinten, Juri Knorr ordnete und traf. Der nachnominierte Lukas Stutzke half der Abwehr. Doch sobald Gislason wechselte, wurde es konturenlos. Eine 6:3-Folge ließ die Ägypter auf 17:14 nach 30 Minuten verkürzen.
„Uns fehlt die Abgezocktheit“
Kein Beinbruch, denn die Deutschen legten nach – Knorr drehte auf und traf zum 27:19 (42. Minute). Dieses Polster war in der 57. Minute aufgezehrt: 30:30. „Uns fehlt die Abgezocktheit, den Sack zuzumachen“, klagte Golla, „wir machen zu viele Kleinigkeiten schlecht.“
Zum Glück konnte sich Gislasons Team in der Extra-Zeit auf Wolff, Golla und Köster verlassen, auch Christoph Steinert half mit, die Ägypter letztlich doch auf Abstand zu halten.
In der engen Interviewzone der riesigen Arena allerdings wirkte es, als grübelten die deutschen Profis eher über die böse 3:11-Serie, die ihnen die Verlängerung einbrockte, als über diesen sechsten WM-Sieg und den möglichen fünften Platz.