Handball-WM : Wie ein kleines S.O.S.-Signal
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Lädt zum Träumen ein: Juri Knorr sorgt bei der WM bestimmt nicht für Sorgenfalten auf Alfred Gislasons Stirn. Bild: AFP, EPA
Bei der WM fehlt es der deutschen Mannschaft an Breite und Qualität im Kader. Bundestrainer Alfred Gislason hofft zur Heim-EM auf die Rückkehr eines Alleskönners.
Es gab am Mittwoch, neben jenem 28:35 gegen Frankreich, noch ein anderes wichtiges Ergebnis für den deutschen Handball. Eines, das zwar in Fachkreisen registriert wurde, aber längst nicht dieselbe Beachtung fand wie jenes, mit dem sich die Nationalmannschaft aus dem Medaillenrennen bei der Weltmeisterschaft verabschiedete. Dabei fiel dieses Resultat sogar ziemlich deutlich, ja eindeutig für Deutschland aus: 10:0. Das war das Ergebnis einer Abstimmung im Kreis der Familie Pekeler mehr oder weniger unter dem Weihnachtsbaum. So jedenfalls berichtete es Hendrik Pekeler, der Kieler Kreisläufer, in einem Podcast der Rhein-Neckar Löwen, der als WM-Spezial zum deutschen Viertelfinale in Danzig ausgestrahlt wurde.
Eine ganz große Überraschung wäre es nicht, wenn der 31 Jahre alte Pekeler zur Heim-Europameisterschaft im kommenden Jahr ins Nationalteam zurückkehrte, darüber wird schon länger nicht mehr in Form einer Verschlusssache geredet. Auch der Bundestrainer hatte im Herbst mehr als nur eine Offenheit dafür signalisiert. Aber so, wie es nun auf den (Medien-)Markt kam, wirkte es, als lägen zwei Puzzlestücke bereit, um nur noch zusammengefügt zu werden. Auf der einen Seite Pekelers Bereitschaft, die er – wenngleich er sich bei der Familienabstimmung enthalten habe – im Podcast so formulierte: „Wenn ich merke, ich habe ein gutes Gefühl und keine Probleme, dann werden wir uns zusammensetzen und eine Lösung finden.“
Auf der anderen Seite die Signale, die Alfred Gislason frisch aus Danzig sendete und die unter dem Eindruck des am Ende deutlichen Ergebnisses gegen den Olympiasieger und Rekordweltmeister wie ein kleines S.O.S. über die Ostsee Richtung Kiel wirkten. „Er ist einer der Weltbesten in Angriff und Abwehr, weil er beides gut kann“, sagte Gislason über Pekeler, der entscheidend am EM-Titel 2016 sowie an Olympia-Bronze im selben Jahr beteiligt war, den bislang letzten Medaillen-Plätzen der deutschen Handballer, sich aber nach Olympia 2021 aus Rücksicht auf seinen geschundenen Körper in eine zunächst unbefristete Auszeit abmeldete. Im vergangenen Mai erlitt er einen Achillessehnenriss, nachdem er im November aufs Parkett zurückgekehrt war.
Während Frankreich gegen Schweden und Spanien gegen Dänemark um die Finalplätze kämpfen, spielt die deutsche Mannschaft jetzt an diesem Freitag gegen Ägypten (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM in der ARD) und am Sonntag in Stockholm um die Plätze fünf bis acht. Wie groß der Bedarf für einen wie Pekeler wäre, um wieder höher hinauszukommen, hatte sich in Polen noch nicht in der Vor- und Hauptrunde gezeigt, wo der Innenblock mit dem erfahrenen Johannes Golla und dem schnell lernenden Julian Köster immer besser abräumte, dann aber doch gegen Norwegen und Frankreich: „Unsere Probleme in der Abwehr sind nicht zu übersehen, da fehlt uns die Breite im Kader“, stellte Gislason fest.
„Gegen Teams wie Frankreich, die viel Druck entwickeln, hast du kaum die Möglichkeit zu wechseln. Das ist schon ein Manko. Ich hoffe, dass wir das lösen können in den nächsten Monaten.“ Es ist, wie hinzuzufügen wäre, ein Manko, das nicht nur die Abwehrarbeit als solche betrifft, sondern auch in den Angriff ausstrahlt. Weil gerade Köster so viel Spielzeit hatte und gegen Norwegen und Frankreich kaum zum Durchatmen kam, sodass vorn die Würfe keine Wucht mehr hatten. „Köster hat nicht mehr die Kraft gehabt für den Angriff“, sagte Gislason.
Überhaupt schafften es die Deutschen aus dem Rückraum nicht, Gefahr zu entwickeln, die ausgebufften Franzosen spürten das und zogen sich zurück, „die standen nur noch auf sechs Metern und haben dem Rückraum gesagt: Wirf mal“, sagte Gislason. Das war einer der Gründe, warum die schöne 11:7-Führung nach einer Viertelstunde und das 19:17 früh in der zweiten Hälfte am Ende nichts wert waren. Wahrscheinlich hätten die Kräfte das deutsche Team früher oder später sowieso verlassen, aber Patrick Groetzkis Fehlwurf bei diesem Spielstand tat ihnen besonders weh. So wie die Wurfschwäche gerade aus freien Positionen, die schon den möglichen Sieg gegen Norwegen gekostet hatte, für Gislason insgesamt ein Stück weit unerklärlich, aber spürbar frustrierend war. „Gerade das Norwegen-Spiel werfen wir ziemlich selber weg“, sagte er. „Ich habe mir viele Würfe angeschaut, und da sieht man ganz deutlich, dass der Werfer gar nicht den Torhüter anguckt, der wirft einfach blind drauf. Da muss man schon fragen, ob das eine Qualitäts- oder eine Konzentrationsfrage ist.“
Bei allen schönen Fortschritten, die das deutsche Team zweifelsohne machte: Es ist, wenn man über das höchste internationale Niveau spricht, wohl beides – vor allem wenn man Konzentration auch als Kraftfrage begreift. Und das musste man, wenn man einen anderen beobachtete, der bei dieser WM sehr viel sehr Gutes gezeigt hatte, ehe auch ihm die Strapazen an die Substanz gingen: Juri Knorr. Es gehört zu den erfreulichsten Erkenntnissen für den deutschen Handball, dass er mit Köster und ihm, beide sind 22 Jahre alt, über zwei Figuren verfügt, die auf Sicht zum Träumen einladen. In der harten Realität aber würde es auch diesen beiden Höchstbegabten helfen, wenn sie nicht so viel allein richten müssten. Ob es schon im kommenden Jahr für einen Sprung aufs oder in die Nähe des Treppchens reichen kann, dürfte deshalb auch davon abhängen, wie viel Qualität kurzfristig noch zu gewinnen ist.
Mit Pekeler, mit Julius Kühn als wuchtigem Mann aus dem Rückraum, mit Timo Kastening als wirbelndem und vor allem verlässlich treffenden Rechtsaußen (beide fehlten wegen Verletzungen) – das wäre noch einmal eine andere deutsche Mannschaft. Vielleicht auch mit Fabian Wiede als ideenreichem Linkshänder für die besonderen Momente. Allerdings dürfte der Berliner deutlich schneller einen Termin beim Zahnarzt bekommen als in Gislasons Trainerbüro. Dass Wiede die WM-Teilnahme wegen einer Weisheitszahn-OP absagte, traf beim Bundestrainer, anders als Pekelers Signale, ganz sicher nicht den richtigen Nerv.