Handball-Nationalteam : Erst Steakhaus, dann ab in die Zukunft
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Die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben: Die deutsche Mannschaft um Kapitän Uwe Gensheimer muss die Niederlage zum Abschluss der Handball-WM verkraften. Bild: dpa
Die deutschen Handballspieler sind nicht clever genug für Platz drei. Eine dennoch gelungene WM lassen sie im Steakhaus ausklingen. Der DHB sieht sich gut aufgestellt für die kommenden Jahre.
Andreas Wolff wollte das Spielfeld der „Jyske Bank Box“ erst verlassen, als der Ordnungsdienst begann, hinter ihm sauberzumachen. Da mussten nämlich frische weiße Handtücher auf die Stühle für das Finale dieser Handball-WM. Wolff, der ehrgeizigste deutsche Spieler, saß da wie einer, der den allerletzten Bus nach Hause verpasst hat. Redete mit sich selbst, schüttelte den Kopf, stampfte mit dem Fuß auf, als erlebe er das Spiel gerade noch einmal. „Wir haben uns durch unsere eigenen Dummheiten um die Medaille gebracht“, sagte Wolff, „es war einfach nur bitter. Wir spielen in den letzten Sekunden einen Harakiri-Pass, anstatt das Ding runterzuspielen.“
Mit am Ende flatternden Nerven unterlag das deutsche Team im Spiel um Platz drei Frankreich 25:26. Cleverness aber war das ganze Turnier über keine deutsche Tugend. Dieser vierte Platz fühlte sich wie ein lausiger Trostpreis an, denn die Mannschaft von Bundestrainer Christian Prokop versäumte es, sich sowohl für eine gute erste Halbzeit (13:9) zu belohnen, noch brachte ihr der harte Kampf der Schlussphase etwas: Nikola Karabatics Tor per Gegenstoß in der letzten Sekunde ließ die Deutschen zunächst alle Freude über eine alles in allem gelungene WM vergessen.
Frust aus den Kleidern geschüttelt
Es sprach eine halbe Stunde nach Abpfiff für Prokop, bei allem Frust die richtigen Worte für das Erlebte zu finden. „Ich bin stolz auf diese Mannschaft. Es war eine intensive Zeit, und es sind eine Menge Eindrücke zu verarbeiten. Bis auf das Endergebnis ist die WM so gelaufen, wie wir es erträumt haben. Aber wir hätten heute Abend gern auf dem Treppchen gestanden. Ich bin meinem Trainerstab dankbar und werde mit den Trainern anstoßen auf das, was wir geschaffen haben. Das muss nun mit Nachhaltigkeit gefüllt werden. Wir müssen nach dieser WM in die Vereine gehen. Daraus haben wir gelernt von 2007“, sagte der Bundestrainer.
Es wäre neben der perfekten Organisation des Deutschen Handballbundes (DHB) vor allem das Verdienst Prokops und der Mannschaft, sollte Handball nicht rasch wieder von der Agenda verschwinden. Wie schnell alles gehen kann, konnte man am Sonntag in Herning quasi fühlen. Das 25:25 aus der Vorrunde in Berlin gegen Frankreich schien Jahre zurückzuliegen. So eine WM bietet dichte Erlebnisse am laufenden Band. Jenes Spiel mit dem späten Ausgleich der Franzosen hatte neben dem Sieg gegen Brasilien den Grundstein für den weiteren Weg durchs Turnier gelegt.
Beeindruckend, wie sich Prokops Spieler den Frust von der Halbfinal-Niederlage gegen Norwegen am Freitag aus den Kleidern schüttelten und nun eine gute erste Halbzeit hinlegten. Hinten stand man stabil mit einem lange ordentlichen Andreas Wolff, vorne war es wackelig, es war fehlerhaft, aber was Einsatz und Willen betraf, leisteten die Deutschen Maximales in diesem zehnten Spiel seit dem 10. Januar. Die 13:9-Pausenführung schien eine gute Grundlage für den dritten Platz zu sein. Im zweiten Durchgang aber spielte Frankreich etwas strukturierter, verteidigte etwas offensiver, das reichte, um die Deutschen aus dem Tritt zu bringen. Prokops Team verteidigte leidenschaftlich, verpasste aber die Belohnung.
So verließen die deutschen Handballspieler die Arena schwer enttäuscht und fuhren später ins kleine Herning in ein Steakhaus, um die WM gemeinschaftlich ausklingen zu lassen (Spielplan der Handball-EM 2020). Zumindest einmal hatten sich die Deutschen dem Ko-Gastgeber angenähert – ansonsten hatte Deutschland seine Veranstaltung und die Dänen hatten ihre ausgetragen. Für kommende Großturniere im Handball, die in zwei oder sogar drei Ländern stattfinden werden, war diese nie gelebte Partnerschaft kein Vorbild. DHB-Vizepräsident Bob Hanning hatte es am Wochenende halb im Scherz so ausgedrückt, dass das Finale in der jütländischen Heide der „einzige Fehler“ gewesen sei, den sich Weltverbandspräsident Hassan Moustafa erlaubt habe – bei den dänischen Ausrichtern sah man das natürlich ganz anders, gilt die „Jyske Bank Box“ doch als stimmungsvollste Arena das Landes. Zudem bietet das Gelände auf der grünen Wiese genug Platz für eine große Fanzone.
Hanning hatte auch noch einmal die Rolle Prokops angesprochen. Die große Frage, die aus deutscher Sicht über diesem Turnier schwebte, war ja, ob Team und Trainer nach dem Zerwürfnis bei der EM 2018 zueinander finden würden. Hanning sagte: „Ich habe Christian bei diesem Turnier so erlebt, wie ich ihn kenne – mit allen Stärken, die er hat. Für mich war es damals auch nicht das Thema, ob ich ihm das zutraue, sondern schafft es die Mannschaft, sich auf den Trainer einzulassen und gemeinsam etwas zu bewegen? Und beide Seiten haben einen phantastischen Job gemacht, sowohl die Mannschaft als auch der Trainer.“ Dieser Schulterschluss war das ganze Turnier über sichtbar: Hier war eine Einheit von 18 Spielern und zwei Trainern wild entschlossen, die „Einmal-im-Leben“-Chance beim Schopfe zu packen.
Der DHB sieht sich gut aufgestellt
Gelungen ist das nicht. Andere, weichere Ziele wurden erreicht. Wie hatte Prokop gesagt: „Wir sind ja vor ein paar Wochen hier angetreten und wollten unsere Sportart populärer machen. Wir wollten viele tolle Gesichter einblenden, wir wollen nachhaltig gut sein, damit der Handball auch in den Schulen wieder mehr frequentiert wird. Da hat die Mannschaft einen Riesenjob gemacht.“ Beim zweiten großen Turnier in Verantwortung ist der Mann aus Köthen in Sachsen-Anhalt, der mit seiner Familie in Leipzig lebt, also ziemlich weit gekommen. Weit genug, um alle alten Zweifel zu zerstreuen?
Der DHB findet ja und sieht sich gut aufgestellt für das Fenster bis zur Heim-EM 2024. Prokop hat einen Vertrag bis 2022. Er wird die Breite des Kaders weiter nutzen, muss aber darauf hoffen, dass Figuren wie Fabian Böhm, Paul Drux und vor allem Steffen Fäth sich in den Klubs weiterentwickeln. Der deutsche Rückraum braucht mehr Qualität in der Spielsteuerung, und ein ordentliche Prise Cleverness wäre auch wünschenswert, um in einem Jahr bei der EM nicht wieder mit leeren Händen dazustehen.