Corona-Chaos im Handball : Ab ins Risiko bei der EM
- -Aktualisiert am
Nun auch in Bratislava: Die nachnominierten Johannes Bitter (rechts) und Rune Dahmke treffen direkt nach ihrer Anreise zum PCR-Test ein. Bild: dpa
Der Reiz eines Turniers ist größer als die Sorge vor der Ansteckung: Auch die Sicht der Sportler auf das Virus hat sich verändert. Dass bei der Handball-EM weitergespielt wird, gehört zum „neuen Normal“.
Es ist eine freiwillige Reise in den Corona-Hotspot namens Handball-Europameisterschaft. Als sich die fünf nachnominierten Profis am Dienstagmorgen auf den Weg nach Bratislava machten, war keiner von ihnen gezwungen worden – von wem auch? Der Deutsche Handballbund (DHB) verwies darauf, dass ein Anruf genügt habe, um Johannes Bitter, Sebastian Firnhaber, Fabian Wiede, Paul Drux und Rune Dahmke in die slowakische Hauptstadt zu lotsen.
Am Montag hatte der DHB zunächst fünf, vor dem Spiel am Dienstag zwei weitere coronabedingte Ausfälle zu verzeichnen gehabt, insgesamt nun neun. Die Not ist groß. Und das Quintett packte die Koffer. Mit Bauchschmerzen: „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich mich infiziere“, sagte Linksaußen Dahmke den „Kieler Nachrichten“, „aber der Wille ist noch größer, mithelfen zu wollen.“ Dahmke ist wie Bitter nun der einzige Spieler auf seiner Position. Sportlich sind die Aussichten düster, auch wenn am Dienstagabend ein Sieg über Polen gelang. Doch geht es nicht nur darum.
Dahmkes Einschätzung weist auf eine veränderte Risikowahrnehmung hin: Bei einer Ansteckung droht höchstwahrscheinlich keine Intensivstation. Für einen dreifach Geimpften wie den Kieler Profi würde eine Infizierung in Bratislava einen womöglich symptomlosen Verlauf mit fünftägiger Quarantäne bedeuten. Das ist das, was Virologen über eine Infektion mit der Omikron-Variante berichten. Dahmke und die vier anderen setzen sich dem Risiko bewusst aus, das diese EM mit sich bringt. Sie formulieren es sogar. Und reisen wegen der großen Anziehungskraft eines solchen Turniers trotzdem an.
Man kann diese Haltung als unverantwortlich geißeln. Man kann auch fordern, jede Sport-Großveranstaltung abzusagen bis ... Ja, bis wann eigentlich? Geht es nicht gerade darum, zu lernen, mit dem Virus, in welcher Variante auch immer, zu leben? Insofern geht von der Reise ins Risiko eine Botschaft der Normalität aus. Sie bildet die gegenwärtige Lage ab. Ja, das Virus greift um sich, ja, es sind bisher 30 Spieler aus zehn Ländern betroffen – aber trotzdem wird gespielt.
Zum „Neuen Normal“ gehört, sich der Gefahr einer Ansteckung auszusetzen – die es im Kino, Restaurant, Theater in Hamburg, Berlin oder München gibt. Im Wissen, dass die Folgen für einen gesunden Menschen meist einer mittleren Erkältung ähneln. Die neun Corona-positiven deutschen Spieler sind symptomfrei. Und doch erinnert das Ganze an Brot und Spiele. Wer ausfällt, wird ersetzt. Weiter geht’s. Der Rubel muss rollen, das Fernsehen übertragen. Ein Rückzug vom Turnier kam für den DHB bislang nicht infrage. Die EHF will einen Abbruch vermeiden. Bei seiner ersten Männer-EM unter Pandemiebedingungen gibt der europäische Verband als Ausrichter aber kein gutes Bild ab.
Die Zustände in Ungarns Hallen und Hotels, die Maskenlosigkeit der Fans auch in der Slowakei, das lange Warten auf PCR-Testergebnisse: wirklich vorbereitet auf die Omikron-Variante wirkt der Verband nicht. Die von 14 auf fünf Tage verkürzte Quarantäne entspricht zwar dem, was Politiker allerorten auch gerade durchsetzen, führt aber zu Verdruss: Sind die zurückkommenden Spieler wirklich nicht mehr ansteckend?
Sportlich verliert diese EM mit jedem positiven Test an Wert. Der Versuch, sie zu Ende zu bringen, ist trotzdem richtig. Mit einer Einschränkung: sollte das Turnier nun von positiven Tests überrollt werden, wäre der Punkt erreicht, abzubrechen. Die Deutschen wussten schon am Dienstagabend kaum noch, wen sie aufstellen sollten.