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Ukrainische Nationalmannschaft : Viele Tränen und viele offene Fragen

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Deutliche Botschaft: Gladbacher und Ukrainer gemeinsam gegen den Krieg Bild: Jürgen fromme /firo Sportphoto

Den ukrainischen Fußballspielern fehlen Wettkampfpraxis, Gegner und ein funktionierender Ligabetrieb. Der Sieg in Mönchengladbach ist immerhin ein Anfang. Enorm helfen würde die WM-Teilnahme.

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          Eine seltsame Mischung unterschiedlicher Gefühle lag am Mittwochabend über dem Mönchengladbacher Borussia-Park, als die ukrainische Nationalmannschaft zum ersten Mal, seit die Nation am 24. Februar von Russland überfallen wurde, wieder zu einem echten Wettkampfspiel zusammenkam. Über viele Gesichter von ukrainischen Besuchern rollten Tränen. Vor Rührung, vielleicht aber auch in einem Akt kollektiver Trauer über die furchtbare Situation, in der ihr Land steckt.

          „Beim Singen der Nationalhymne hatte auch ich Tränen in den Augen“, erzählte Nationaltrainer Oleksandr Petrakow, nachdem sein Team 2:1 gegen die Borussia gewonnen hatte. „Wir standen mit Gänsehaut am Spielfeldrand, wir sind allen Ukrainern und Ukrainerinnen aber auch den Deutschen sehr dankbar für diese Atmosphäre“, sagte er.

          Und die Mönchengladbacher fühlten einerseits mit, waren aber zugleich erfüllt von der Freude, ein klein wenig helfen zu können. Patrick Herrmann beschrieb die Stimmung als „irgendwie schön“, und Gladbachs Abwehrspieler Nico Elvedi sagte: „Ich bin froh, dass wir mit diesem Spiel den ukrainischen Fans etwas geben konnten. Für den Verein und uns alle war es eine absolute Herzensangelegenheit.“

          Mit dem Reinerlös und den im Rahmen einer aufwendigen TV-Übertragung gesammelten Spenden soll das Leid der vom Krieg betroffenen Menschen gelindert werden. Das Besondere an diesem Benefizspiel war allerdings sein großer sportlicher Wert. „Nach einem halben Jahr, in dem wir kaum arbeiten konnten, hat das Spiel begonnen“, sagte Petrakow, der sich im Juni mit seiner Mannschaft für die Weltmeisterschaft in Qatar qualifizieren möchte. Zunächst steht am 1. Juni ein Play-off-Halbfinale in Schottland an, bevor es im Falle eines Sieges im Endspiel vier Tage später gegen Wales um die Teilnahme an der WM gehen würde.

          Um dort in möglichst guter Verfassung antreten zu können, haben die Ukrainer Anfang Mai ein Trainingslager in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana bezogen, allerdings noch ohne die größten Stars. Oleksandr Sintschenko (Manchester City), Andrij Jarmolenko (West Ham United), Witalij Mykolenko (FC Everton) oder Ruslan Malinowskij (Atalanta Bergamo) werden erst hinzustoßen, wenn die Saison ihrer Klubs zu Ende geht.

          „Sehr schwer, Gegner zu finden“

          Am Niederrhein trat die Mannschaft auch ohne diese Profis in einer körperlich wie fußballerisch ordentlichen Verfassung auf, abgesehen von einigen Unaufmerksamkeiten in der Defensive. „Natürlich haben sie Chancen, zur WM zu fahren, das ist ein gutes Team mit guten Einzelspielern und viel Qualität, ich traue ihnen viel zu“, sagte der Mönchengladbacher Torhüter Yann Sommer. Aber der Weg dorthin ist voller Widrigkeiten. „Aktuell ist es sehr schwer, Gegner zu finden“, sagte Trainer Petrakow, „mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir gegen Empoli und gegen Rijeka spielen“. Weil vielen Spielern die Wettkampfpraxis fehlt, werden für die zweite Monatshälfte Tests gegen afrikanische Nationalmannschaften in Erwägung gezogen.

          Eine WM-Teilnahme würde für das überfallene Land in diesem Jahr besonders viel bedeuten, schließlich geht es mehr noch als bei früheren Turnieren darum, von der Welt wahrgenommen zu werden. Und für viele der ukrainischen Spieler sind solche Begegnungen auch deshalb wichtig, weil sie bei Klubs aus den großen Ligen auf sich aufmerksam machen können. Es ist schließlich nicht zu erwarten, dass in der kommenden Saison nationale Wettbewerbe in dem vom Krieg erschütterten Land ausgetragen werden können. Die mittelfristige Zukunft der ukrainischen Großklubs Dynamo Kiew und Schachtar Donezk, die regelmäßig an der Champions League teilnehmen, ist ungewiss.

          Zwar heißt es aus dem nationalen Fußballverband, man hoffe weiterhin auf ein baldiges Kriegsende und die Wiederaufnahme des Ligabetriebs nach der Sommerpause. Konkrete Alternativpläne gibt es nicht. Auch Andrej Pawelko, der Präsident des ukrainischen Verbandes, bekräftigte solche Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr in die Normalität, als er am Mittwoch zum UEFA-Kongress sprach. Doch schon die Bilder, die er als Mann in Schutzweste vor einem zerbombten Stadion nach Wien übermittelte, deuteten an, wie unwahrscheinlich so ein Idealszenario ist.

          Sollte die abgebrochene Saison nicht zu Ende gespielt werden, darf der Verband dennoch Mannschaften für die europäischen Wettbewerbe der kommenden Saison melden, was allerdings neue Fragen aufwerfen würde: Spielen die Teams dann nur im Europapokal, während die Liga weiter ruht? Und wo sollen sie ihre Heimpartien austragen? Niemand weiß es. Daher könnten Vereinswechsel oder Leihgeschäfte für viele Nationalspieler, die sich womöglich in WM-Form bringen wollen, ein probater Ausweg aus ihrer schwierigen Lage sein. In jedem Fall ist auch der Fußball schwer getroffen vom Krieg.

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