Nachwuchsspieler : An der Schwelle zum Ruhm
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Erfolge ohne Garantie: Stendera, Kimmich und Selke (v.l.) in Ungarn Bild: AP
Erfolge wie die der U-19-Auswahl bei der Europameisterschaft in Ungarn haben ihren Preis – bald ist eine Milliarde Euro investiert. Talentförderung im Fußball ist aufwendig und schwierig.
Es ist so eine Sache mit Prognosen bei Fußballtalenten. Aber die Aussichten auf einen gutdotierten Vertrag in der Bundesliga sind gar nicht so schlecht für die besten deutschen Nachwuchskicker, die an diesem Donnerstag bei der U-19-Europameisterschaft im Finale von Budapest gegen Portugal um den Titel kämpfen. Ob die Spieler um Kapitän Niklas Stark aus Nürnberg, den Frankfurter Marc Stendera oder Uwe-Seeler-Enkel Levin Öztunali in ihrer Karriere aufgrund besonderer Fähigkeiten allerdings weit mehr sportlichen Ruhm einfahren können, ist ungewiss. Das zeigt die Vergangenheit.
So gesehen sind die deutschen WM-Helden von Brasilien eine Ausnahme, von denen einst Torwart Neuer sowie Höwedes, Boateng, Hummels, Khedira und Özil im Jahr 2009 schon zusammen bei der U-21-EM triumphierten. Talentförderung ist aufwendig und schwierig. Ob ein hochbegabter Fußballspieler seine Ziele auf höchstem Leistungsniveau bei den Profis erreicht, hängt von vielen weiteren Einflussgrößen ab: seiner Motivation, dem Durchsetzungsvermögen, seinem Umfeld, von guten Trainern und hilfreichen Beratern, die im richtigen Moment an seiner Seite stehen, von einer qualitativ werthaltigen Ausbildung im Verein oder von Eigeninitiative.
Der Sprung ins Profigeschäft wird wahrscheinlicher
Weltmeister-Kapitän Philipp Lahm gehörte im Jahr 2002, als die deutsche U-19-Auswahl das EM-Finale gegen Spanien verlor, nicht zur Stammelf. Protegiert vom FC Bayern und seinem Fürsprecher Hermann Gerland, machte er aber seinen Weg bis zum großen Triumph, während es beim Großteil der Mannschaft später nicht mal für die Bundesliga reichte. Das hat sich heute geändert. Die großen Investitionen in den Nachwuchsbereich und das besondere Augenmerk auf die Entwicklung von Talenten hat dazu geführt, dass sich die Qualität der besten Junioren verbessert hat. Je näher sie an die Seniorenklasse kommen, desto größer auch ihre Chance, den Sprung ins Profigeschäft gut zu bewältigen.
In den Neunzigern, als Verband und Liga die Nachwuchsförderung nur halbherzig betrieben, gab es Junioren-Nationalmannschaften, von denen die besten Spieler später nicht mal Zweitliganiveau erreichten. Das ist vorbei. Von der U-19-Auswahl, die im Jahr 2008 den EM-Titel gewann, wurden viele Spieler zu Stützen in den Erstligateams. Dazu gehören Nationalspieler wie Torwart Ron-Robert Zieler oder die Bender-Zwillinge. Seit der verpflichtenden Einführung der Nachwuchsleistungszentren für alle Klubs der Ersten und Zweiten Bundesliga im Jahr 2002 wurde hier von den Vereinen die gewaltige Summe von 925 Millionen Euro investiert. Auch dies gehört zur Grundlage für den WM-Titel 2014.
Andere Fußballnationen schauen nach Deutschland
Innerhalb von zehn Jahren hat die erste Liga den Anteil junger Spieler verdoppelt. Jeder junge Fußballer, der leistungswillig und talentiert ist, soll die Chance haben, gesichtet zu werden. Das sagt der Deutsche Fußball-Bund (DFB). In 366 Stützpunkten, die übers Land verteilt sind, beginnt die Förderung. Dort erhalten talentierte Kinder und Jugendliche zusätzliche Übungseinheiten. Dafür beschäftigt der DFB 1.300 Honorartrainer. Jährlich werden etwa 600.000 Spieler gesichtet. Danach kommt die nächste Förderstufe mit den Nachwuchsleistungszentren der Profiklubs. Die misslungene WM 1998 und das EM-Trauma von 2000 gaben damals den Impuls beim DFB für die umwälzenden Veränderungen beim Talentsystem.
Andere Fußballnationen, die wie England seit Jahren keinen sportlichen Erfolg nachweisen können, schauen längst nach Deutschland. Sogar Brasilien, das Land der Zauberfußballer, das bei der WM so unschön abgestürzt ist, will sich an den neuen Weltmeistern orientieren. Doch die Sparte Forschung und Entwicklung hat ihren Preis – und der Erfolg liegt auf einem schmalen Grat. Von etwa zwei Millionen Fußballern bis 18 Jahre wird in Deutschland am Ende nur ein Bruchteil zu Profis. Von etwa 150.000 Nachwuchskickern pro Jahrgang schaffen 800 den Sprung in ein Leistungszentrum.
Beim Übergang zum Profi scheitern die meisten Karrieren
Bei 20 bis 30 Spielern reicht das Talent für die Bundesliga. Nicht gerade hilfreich ist dabei, dass die motorischen und koordinativen Fähigkeiten Elfjähriger stetig schwächer werden, wie der DFB festgestellt hat. Umso jünger die Talente sind, desto schwerer die Vorhersage, ob sie auch später den Durchbruch bei den Profis schaffen. Ein Beispiel dafür ist die U-17-Auswahl, die im Jahr 2009 den EM-Titel gewann. Von diesen Spielern verfügen fünf Jahre später Torwart ter Stegen, Mustafi und WM-Torschütze Götze über internationale Klasse, die anderen früheren Fußballkameraden haben es gerade mal in die zweite oder dritte Liga geschafft.
Ein kritischer Punkt im System bleibt – beim Übergang zum Profi. Hier scheitern die meisten Karrieren. Experten fordern deshalb in diesem Alter den Einsatz sogenannter Spieler-Entwickler in den Vereinen, die sich dem einzelnen Talent noch mehr zuwenden und auch die Erwartungen deutlich machen. Vielleicht gehört da auch mal eine unangenehme Erfahrung dazu, wie sie der 19 Jahre alte Bremer Jungprofi Marnon Busch am Montag gemacht hat. Der frühere U-15-Nationalspieler wurde bei der Abfahrt aus dem Trainingslager der Werder-Profis in Zell am Ziller einfach vergessen. Er kam zu spät, der Bus fuhr ohne ihn los. Und niemand vermisste ihn.