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Fußball an Weihnachten 1914 : Kriegsspiel

Das einzige Geschoss, das fliegt, ist ein Ball: Eine Erinnerung an den weihnachtlichen Waffenstillstand von 1914 Bild: Getty

An Weihnachten vor hundert Jahren spielen deutsche und englische Soldaten an der Westfront miteinander Fußball. Ein bleibendes Symbol für den Sport als Gegenbild des Krieges.

          5 Min.

          Sport ist Krieg ohne Schießen, fand George Orwell. Er schrieb das 1945, am Ende zweier Kriege, die Europa verwüstet hatten. Dabei gab es schon 1914, am Anfang dieser Kriege, ein sportliches Duell, das Orwells Wortsinn vollkommen bestätigte. Und seinen Hintersinn zugleich vollkommen widerlegte.

          Christian Eichler
          Sportkorrespondent in München.

          Der Fußball zwischen den Schützengräben an der Westfront in Flandern, gespielt von englischen und deutschen Soldaten an Weihnachten vor hundert Jahren – er war, ganz buchstäblich, Krieg ohne Schießen. Zugleich schuf diese friedliche Begegnung mit dem Feind, von einfachen Soldaten ohne Wissen und Wollen ihrer Generäle vereinbart, ein bleibendes Symbol für Sport als Gegenteil des Krieges.

          Es waren Spiele ohne Schiedsrichter, ohne Tore, ohne Rasen, ohne Regeln und vielleicht sogar ohne Ball, selbst das ist nicht sicher. Doch das war egal, es wurde auf seine ganz eigene Art vielleicht das erste „Jahrhundertspiel“ des Fußballs, hundert Jahre vor dem 7:1 der deutschen Mannschaft gegen Brasilien.

          Zwei der am 7:1 Beteiligten, Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm, wirken in einem vierminütigen Video mit, in dem die Europäische Fußball-Union (Uefa) nun der Ereignisse von 1914 gedenkt. Sie lässt frühere und aktuelle Stars die Ereignisse in scheinbar selbst erlebten Sätzen schildern. „Die Engländer brachten einen Fußball aus ihren Schützengräben mit, und schon bald begann ein reges Spiel“, so lautet Schweinsteigers Text. „Es war wundervoll und doch seltsam. An diesem Weihnachten brachte das Fest der Liebe Todfeinde als Freunde zusammen.“

          Das Spiel blieb in Erinnerung

          So klingt die geglättete, um historische Ungewissheiten bereinigte Geschichte, die man im 21. Jahrhundert eingängig unter die Leute bringen kann. In Wirklichkeit spielte Fußball im „Christmas Truce (Waffenstillstand)“  von 1914 eine Nebenrolle. Es wurde zwischen den Fronten vor allem miteinander gesprochen, geraucht, gesungen, man tauschte Geschenke aus, schnitt einander Schöpfe und Bärte. Nur an wenigen Stellen des rund 30 Kilometer langen Frontabschnitts bei Ypern, zwischen Mesen und Nieuwkapelle, an dem mehr als 100.000 Briten und Deutsche für ein, zwei besinnliche Tage einander nicht töteten, wurde nachweislich auch Fußball gespielt. Doch es war dieses gemeinsame Spiel, das in Erinnerung blieb.

          Gedenken in Ypern: Die Fußbälle am Kreuz symbolisieren den kleinen Weihnachtsfrieden mitten im Krieg
          Gedenken in Ypern: Die Fußbälle am Kreuz symbolisieren den kleinen Weihnachtsfrieden mitten im Krieg : Bild: Brian Harris /eyevine

          Viele junge Soldaten waren im Sommer 1914 in naiver Begeisterung in den Krieg gezogen – wie in ein Ferienabenteuer, eine Abwechslung vom Alltag daheim, in den man in ein paar Monaten als siegreicher Held zurückzukehren glaubte. Nun war Weihnachten, und man lag fern der Heimat frierend und verlaust im Graben, so feucht und kalt wie ein Grab. Fast eine Million Soldaten waren bereits umgekommen, und nichts bewegte sich. Der Krieg saß auf den 400 Kilometern von Ärmelkanal bis Schweizer Grenze fest. Aber noch war es nicht der Abnutzungskrieg, das apokalyptische Gas- und Granaten-Gewitter der späteren Jahre. Das Niemandsland zwischen den Fronten, aus dem später kilometerbreite Todesstreifen wurden, war vielerorts keine hundert Meter breit. Man lag in Rufweite, konnte die anderen noch als Menschen wahrnehmen.

          Es war auch noch nicht der Hungerkrieg der kommenden Jahre. Im Dezember 1914 konnte man noch Geschenke verteilen. Weil man selbst welche bekam. Jeder britische Soldat erhielt ein Päckchen des Königs mit Schokolade, Gebäck, Tabak und einer Grußkarte der Prinzessin Mary. Viele Deutsche bekamen aus der Heimat Wollsachen, Essen, Alkohol, Zigaretten. Die Oberste Heeresleitung schickte zehntausende Mini-Weihnachtsbäume an die Front. Diese Bäumchen, postiert auf dem Rand der Schützengräben, lösten weihnachtliche Gefühle auf beiden Seiten aus. Berichten zufolge war es ein deutscher Soldat, der die Briten rufend um eine Schusspause bat, damit man Weihnachtslieder singen konnte.

          Die Engländer sangen mit. Es entwickelten sich viele kleine Weihnachtsfrieden, manchmal mit, manchmal ohne Fußball. Eine durchgängige Verbrüderung gab es nicht. An manchen Frontabschnitten wurden Soldaten, die aus dem Graben krochen, um aufeinander zuzugehen, erschossen.

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