
Verletzung in Kauf genommen : Die Verlierer der Fußball-Regeln
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Szene des Spiels: Real-Profi Federico Valverde sieht Rot Bild: AFP
Ein Profi von Real Madrid tritt dem enteilten Stürmer in einer spielentscheidenden Situation absichtlich in die Beine, sein Team gewinnt, er wird gelobt und ausgezeichnet als „Man of the Match“. Wie kann das sein?
„Ein sportlicher Wettbewerb, der funktionieren soll, braucht klare Werte, Regeln und Sanktionen.“ Wer wollte diesen Satz von Christian Seifert, dem Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga, in Frage stellen? Das tun nicht mal die Spieler von Real Madrid. Seit Sonntag dürfen sie sich Sieger des nationalen Supercups nennen, ausgespielt in Saudi-Arabien. Sie sind stolz auf ihren Erfolg. Obwohl sie ohne ein grobes Foul vielleicht gar nicht ins Elfmeterschießen (4:1) gekommen wären.
In der 115. Minute hatte Mittelfeldspieler Valverde dem enteilten Stürmer von Atlético, Morata, beim Stande von 0:0 kurz vor dem Strafraum von hinten in die Beine getreten. Dafür gab’s Rot. Na klar. Dafür gab’s aber auch: Zuspruch, Applaus, die Ernennung zum „Man of the Match“, eine Lobrede in der Kabine und obendrauf von einer spanischen Zeitung einen unmissverständlichen Titel: „Held“.
Seifert ist damit nicht widerlegt. Im Gegenteil. In der beschriebenen Szene steckt alles, was der DFL-Chef aufzählt, zunächst ein Wert oder gar mehrere: Für den Supercuptitel gibt’s vermutlich eine Prämie, dazu ein Stück Reputation und nicht zuletzt die bestärkende Bestätigung, dass ein Sieg um jeden Preis immer ein Sieg bleibt. Der Fall folgt auch Regeln, wie Valverde erklärte: Ein Tritt in die Knochen ohne die geringste Chance, den Ball wegzuspitzeln, gehört zum Selbstverständnis in der Branche: „Es war das Einzige, was ich noch tun konnte.“ Wer glaubt, dass der Mensch immer eine Wahl hat, selbst Fußballprofis, der sollte den Trainer von Atlético fragen, auch im engeren Sinne ein Geschädigter dieser Hauweg-Mentalität. Simeone beeilte sich, die Tat des Last-Minute-Treters zu würdigen: „Ich hätte es auch getan.“
Die Sanktion, zwei, drei Spiele Sperre, nehmen die Branche wie der Spieler hin. Sie ist kein Instrument zur Vermeidung, zur Einhaltung von Fair-Play, im besten Fall zur Erziehung. Die Bestrafung ist allenfalls Teil einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Tritt, Sieg, Bitte um Entschuldigung, das sind die Regeln, wenn es nur ums Gewinnen geht.
Innerhalb eines geschlossenen Zirkels funktioniert so ein System. Trotz aller Versuche, sich von dieser Welt zu lösen und über den Dingen zu schweben, ist der Fußball aber erdverbunden. Er lebt davon, von der Basis, der Gesellschaft, die ihn beobachtet, sich an ihm ergötzt, gar ein Beispiel nehmen soll. An Valverde? Er handelte absichtlich. Er nahm dabei eine Verletzung des Stürmers in Kauf.
Wer an eine Wirkung der Großen des Fußballs auf die kleinen, die heranwachsenden Fans glaubt, erkennt sofort den Verlust, den ein kurzfristig gewinnbringender Tritt langfristig erzeugt. Deshalb hat Seifert seiner „tiefen Überzeugung“, dass ein sportlicher Wettbewerb klare Werte, Regeln und Sanktionen braucht, damit er funktioniert, eine zweite folgen lassen: „Eine Gesellschaft, die funktionieren soll, (braucht das) auch.“ Dann müsste sie bei diesem Fußball wegschauen und weghören.