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Strafgefangene Schiedsrichter : Anpfiff für die Freiheit

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Fußball im Gefängnis: In Frankenthal lernen Insassen der JVA Recht und Ordnung Bild: Helmut Fricke

In der Pfalz werden Straffällige zu Schiedsrichtern ausgebildet. Aber das ist nicht so einfach. Ein Besuch hinter Gittern.

          5 Min.

          Mal wieder etwas anderes sehen, sagt Christian, das sei die größte Motivation. Mehr als nur die eigenen vier Wände und die immer gleichen Leute. Er spricht ganz leise. Christian ist Mitte zwanzig, doch sein Gesicht wirkt jünger. Ohne die Härte, die man vermeintlich einem Verbrecher unterstellen würde. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen. Seine Mutter sei früh gestorben, sagt er, er habe noch den Vater und die zwei Brüder. Früher hat er mal Fußball gespielt. Jetzt sitzt er wegen schweren Raubes im Gefängnis.

          Raus aus dem Zellentrakt. Raus aus diesen vier Wänden mit Waschbecken und Bett, schmalem Tisch und einem Stuhl, die im doppelten Sinn keinen Raum zur Entfaltung lassen. Außer vielleicht für die eigenen Gedanken. Hier aber herrscht Klassenraumatmosphäre. Ein paar Bankreihen, vorn die grüne Tafel - wenn nicht die Gitterstäbe vor dem Fenster wären. In den Reihen die Häftlinge der JVA in uniformer blau-beiger Kleidung. Unterschieden nur durch die Schuhe und vielleicht noch Tattoos auf dem Arm. Früher haben sie Regeln gebrochen - jetzt sollen sie sie verteidigen. Das klingt nur wie ein Widerspruch. Hinter ihnen liegt eine wochenlange Schulung. Bald werden sie nun ihre Prüfung zum Fußball-Schiedsrichter ablegen.

          Regel zwölf - verbotenes Spiel und unsportliches Betragen

          Die 14 Männer sind im Alter von Anfang zwanzig bis Mitte fünfzig. Große Karriere als Referee wird von ihnen keiner mehr machen. Aber das hatte Roland Schäfer, der Schiedsrichter-Obmann des Kreises Rhein-Pfalz, auch gar nicht im Sinn, als er im März dieses Jahres das Projekt mit der JVA Frankenthal startete. Schäfer ist eigentlich Lehrer. Nicht einer von der grummeligen Sorte. Eher von der gutmütigen, fürsorglichen. Schäfer glaubt fest daran, dass jeder eine zweite Chance verdient - das mit dem „im Sport etwas fürs Leben lernen“ ist für ihn nicht einfach nur so dahergesagt.

          Thema der Stunde: Regel zwölf - verbotenes Spiel und unsportliches Betragen. Christian und die anderen haben gut gelernt, können alle Fragen beantworten. Persönliche Strafe, Spielstrafe, wann gibt es Verwarnung, wann Platzverweis? Ein Beamer klatscht reihenweise Folien mit zu viel Text an die kahle Wand. Fürs Bildliche behilft sich Schäfer mit einem Ball und mit Karten, schnappt sich - ganz Schule - die Häftlinge aus den vorderen Reihen, um Spielszenen nachzustellen. Beispiel: Ein Verteidiger schießt sich beim Klären im Strafraum selbst an die Hand.

          „Was ist’s?“, will Schäfer wissen. „Kein Elfer“, heißt es aus der Runde. „Das hast du richtig erkannt“, sagt Schäfer. „Aber wenn du das so pfeifst, wirst du wahrscheinlich unter Polizeischutz vom Platz geholt.“ Alle lachen. Schäfer hat selten so motivierte Schüler. Klubs müssen normalerweise je nach Höhe der Liga eine bestimmte Zahl von Referees stellen. Meistens zahlen sie lieber Strafe. Oder schicken irgendwen, der dann lustlos im Seminar sitzt.

          Was auf dem Platz gilt, gilt auch im Leben

          „Schlagen hat auf dem Platz nix verlor’n! Hat generell nix verlor’n!“ Schäfer sagt es mit Nachdruck. Was auf dem Platz gilt, gilt auch im Leben: Wer mitspielt, muss sich an Regeln halten. Vergehen sind sonst strafbar - und werden geahndet. Diese Erfahrung haben die Anwesenden hier schon mindestens einmal gemacht. Sie sitzen zum Beispiel wegen Drogendelikten oder Gewaltanwendung. Am Kurs teilnehmen darf nur, wer in letzter Zeit nicht irgendwie auffällig wurde. Wie lange er noch sitzt, spielt keine Rolle. Mitunter sind es acht Jahre.

          Gelernt ist gelernt: Notizen auf Schiedsrichterweise
          Gelernt ist gelernt: Notizen auf Schiedsrichterweise : Bild: Max Kesberger

          Wenn sie dann ein Spiel pfeifen, wissen die Vereine auf beiden Seiten nicht um die Vergangenheit. Schließlich sollen auch straffällig Gewordene irgendwann wieder normal leben dürfen. Tür an Tür mit den anderen - ohne endloses Leiden unter Vorbehalten. Wie aber geht jemand mit Gewalt um, der früher selbst zugeschlagen hat? Wo heute schon in der Jugend von Spielern und noch mehr deren Eltern gegen den Referee gewettert und gepöbelt wird und bei jeder Entscheidung lautstark lamentiert, sei sie nun strittig gewesen oder nicht. Wo es mitunter sogar zu Handgreiflichkeiten kommt. „Damit müsst ihr rechnen!“ Schiedsrichterei ist nicht dankbar. Schäfer spricht da aus 40 Jahren Erfahrung. Und er versucht, auch den Häftlingen das nötige Feingefühl zu vermitteln. „Man muss sich ja zurückhalten“, sagt er. „Man kann nicht einfach aggressiv werden. Man muss ruhig bleiben und verwarnen.“ Gelbe Karte und fertig. Oder die Rote. In jedem Fall den Konflikt gewaltfrei lösen - überhaupt Situationen lösen. Ein Schiedsrichter soll schließlich Vorbild sein.

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