Reyna gegen Berhalter : Familiendrama im US-Fußball
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Im Fokus: der amerikanische Nationaltrainer Gregg Berhalter Bild: AP
Einst waren die prominenten Familien Berhalter und Reyna gut befreundet, nun jedoch liefern sich beide einen heftigen Disput. Grund ist ein Vorfall aus dem Jahr 1992 – und bei der WM 2022 in Qatar.
Eigentlich sollte ein Fußballspieler von seinem Format etwas häufiger so positiv auffallen wie beim Gruppenspiel in der Champions League gegen den FC Kopenhagen im September. Schon früh eingewechselt wirkte er, als habe ihn die jüngste Verletzungspause nicht aus dem Tritt gebracht: Giovanni Reyna, genannt Gio, suchte zielstrebig nach Wegen durch die engmaschige Abwehr und fand sie auch. Aus zwei seiner Vorlagen machten seine Nebenleute von Borussia Dortmund zwei Tore.
So einer wäre normalerweise eine ideale Besetzung für die Nationalmannschaft seines Heimatlandes. Aber dazu muss man erstmal eingesetzt werden. Stattdessen entwickelte sich die Weltmeisterschaft in Qatar für den 20 Jahre alten Bundesligaprofi zu einer persönlichen Pleite. Die nötigte ihn dazu, sich hinter den Kulissen bei seinen Mannschaftskameraden dafür zu entschuldigen, dass er trotzig und lustlos auf die Entscheidung von Trainer Gregg Berhalter reagiert hatte, ihn in der ersten Begegnung gegen Wales auf der Bank sitzen zu lassen.
Berhalter stellte Gio Reyna bloß
Die Sache wäre vielleicht nie so groß geworden, wenn das amerikanische Team besser abgeschnitten und nicht schon im Achtelfinale ohne große Gegenwehr ausgeschieden wäre. Und wenn Berhalter darauf verzichtet hätte, bei einer Veranstaltung nach der WM Reyna, ohne dessen Namen zu nennen, bloßzustellen: „Wir hatten einen Spieler, der die Erwartungen auf und neben dem Platz eindeutig nicht erfüllt hat“, verriet der US-Nationaltrainer. „Wir saßen stundenlang zusammen und haben überlegt, was wir mit diesem Spieler machen sollten. Wir waren bereit, ein Flugticket nach Hause zu buchen.“
Interessanterweise steht seitdem nicht mehr der betreffende Spieler im Mittelpunkt der Kontroverse, sondern der Trainer. Und das wiederum nicht etwa wegen seiner umstrittenen Führungsqualitäten, sondern wegen einer Episode aus seiner Vergangenheit. Als der 49-Jährige, der im Rahmen seiner Profikarriere als athletischer Verteidiger zwischen 2002 und 2009 bei Energie Cottbus und 1860 München Station gemacht hatte, so alt war wie Gio Reyna heute. Damals war er eines Abends in einer Bar im Uni-Städtchen Chapel Hill in North Carolina mit seiner Freundin Rosalind „in einen heftigen Streit geraten, der draußen weiterging. Es wurde handgreiflich, und ich habe sie in die Beine getreten.“ Die beiden versöhnten sich viele Monate später, sind seit 25 Jahren verheiratet und haben vier Kinder.
Das Zitat ist Originalton Berhalter. Denn der sah sich vor ein paar Tagen gezwungen, den Vorfall reuig öffentlich zuzugeben. Warum? Weil es jemand gibt, der die Episode bis heute nicht vergessen hat: Gio Reynas Mutter, die zu jener Zeit zusammen mit Rosalind in der Frauen-Collegemannschaft Fußball spielte und sich mit ihr ein Zimmer im Studentenwohnheim teilte. Danielle Reyna war es, die den amerikanischen Fußballverband von der gewalttätigen Auseinandersetzung in Kenntnis setzte und so eine delikate Situation auslöste. Berhalters Vertrag war Ende 2022 ausgelaufen. Daniele Reyna versuchte vor ein paar Tagen in einer öffentlichen Erklärung, ihre Intervention zu rechtfertigen. Berhalter habe die Auseinandersetzung von damals verharmlost. Sie habe lange gebraucht, um ihm als enge Freundin der Betroffenen zu verzeihen und ihn akzeptieren zu können. Umso bestürzter sei sie gewesen, als sie mitbekam, wie er ihren Sohn behandelt hatte. „Ich habe mich persönlich von diesem Verhalten betrogen gefühlt. Von jemandem, den meine Familie seit Jahrzehnten als Freund betrachtet hat.“
Tatsächlich waren Gios Vater Claudio, der ehemalige Kapitän der amerikanischen Nationalmannschaft und frühere Bundesliga-Profi bei Bayer Leverkusen und dem VfL Wolfsburg, heute Sportdirektor vom FC Austin in der amerikanischen Liga MLS, und Berhalter seit ihren Jugendtagen in New Jersey Weggefährten. Reyna war sogar Trauzeuge bei der Berhalter-Hochzeit.
„Häusliche Gewalt, erpresserische Behauptungen, Helikopter-Eltern und das Drama einer Telenovela zwischen einstmals engen Freunden“, so spitzte der ehemalige Nationalspieler Hercules Gomez die Affäre in knappen Worten zu. „Das ist wild und ziemlich traurig für alle Beteiligten.“ Einschließlich des amerikanischen Verbandes US Soccer, der mit Blick auf die Heim-WM 2026 und eine vielversprechende Gruppe junger Talente bei der Vergabe des Traineramts ohnehin vor keiner leichtem Entscheidung steht. Der Verband gab Berhalter vor vier Jahren den Posten, als sein Bruder Jay in der Organisation noch als zweiter Mann eine wichtige Rolle spielte. Was den Verdacht von Patronage nährte, der weit über das übliche Maß der typischen Seilschaften-Kultur im Fußball hinausgeht.
Seitdem waren die Resultate der Nationalmannschaft, die sich mühsam für Qatar qualifizierte, nicht dazu geeignet, kritische Beobachter umzustimmen. US Soccer beauftragte zunächst eine Anwaltskanzlei, den Vorfall von vor 31 Jahren zu untersuchen, und entschied, für das Trainingslager Ende des Monats und die beiden Testspiele gegen Serbien und Kolumbien Berhalters Assistenten Anthony Hudson als Interimstrainer zu installieren.
Pikant bleibt die Situation auch für Gio Reyna und dessen Zukunft in der Nationalmannschaft. Er bemüht sich derzeit ganz offensichtlich um Distanz und setzte in dieser Woche auf Twitter lieber eine Losung auf Deutsch ab: „Wir arbeiten und streben danach, besser zu werden.“