Fußball-Nationalmannschaft : Löws neuer Stil - mit dem Klopp-Faktor
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Bei der Nationalelf angekommen: Außenverteidiger Marcel Schmelzer Bild: dpa
Das Nationalteam soll frischen Angriffsehrgeiz entwickeln. Auch deshalb befördert Bundestrainer Löw den Dortmunder Schmelzer zur Stammkraft. Elemente des BVB-Stils sollen das Spiel der Nationalelf künftig prägen.
Wenn Marcel Schmelzer in den vergangenen Jahren von der Nationalmannschaft nach Dortmund zurückkehrte, machte er auf seine Kollegen nicht gerade den fröhlichsten Eindruck. Man kann auch salopp sagen: Schmelzer war ziemlich genervt. Auf der linken Abwehrseite hatte er bei der Borussia zwar Woche für Woche seinen schönen Anteil am Gewinn der beiden deutschen Meisterschaften, aber wenn Schmelzer dann bei Joachim Löw das Trikot der deutschen Nationalmannschaft überzog, verschwand darin der dynamische Verteidiger, der in Dortmund beeindruckte. Schmelzer tat sich in der Nationalelf ziemlich schwer, seinen attackierenden BVB-Spielstil abzulegen und sich dem abwartenderen DFB-Stil anzupassen. Schmelzer wollte seinen Gegner auch bei Löw so früh attackieren, wie es Jürgen Klopp von ihm gerne sieht, doch der Bundestrainer pfiff ihn dann mitunter sogar von der Seitenlinie zurück - und dann stand Schmelzer buchstäblich zwischen den beiden Stilen. So verkörperte Schmelzer bis zuletzt die Dortmunder Diskrepanz zwischen nationaler Klasse und internationalem Anspruch.

Korrespondent für Sport in Berlin.
Aber nun, seit der im Halbfinale vermasselten Europameisterschaft, ist der Stellenwert von Schmelzer bei Löw gehörig gestiegen. „Er ist bei uns angekommen“, sagte der Bundestrainer am Mittwoch und beförderte den Dortmunder vor den beiden WM-Qualifikationsspielen am Freitag in Hannover gegen Färöer und am Dienstag in Wien gegen Österreich zum Stammspieler auf der linken Seite - und das gleich bis Jahresende mit den weiteren Pflichtspielen gegen Irland und Schweden.
Mit Schmelzers angekündigtem Aufstieg wächst der Dortmunder Einfluss auf das bisher von den Bayern-Profis dominierte deutsche Spiel, das Thomas Müller bei der WM 2010 einmal sehr hübsch als „Jogi van Gaal“-Fußball bezeichnete. Neben Schmelzer und dem exzellenten Mittelfeldstürmer Marco Reus kehrt als Konsequenz aus den jäh zerstobenen Sommerhoffnungen eben auch ein gutes Stück BVB-Geist in die deutsche Auswahl ein, ein bisschen mehr „Jogi van Klopp“ also.
Es soll sich natürlich nicht alles, aber doch einiges ändern in der Nationalelf auf dem Weg zur WM 2014 in Brasilien. Das war die Botschaft, die Löw am Mittwoch in Barsinghausen vermittelte. Die Personalie Schmelzer ist dabei nur ein Anfang, nachdem Löw entschieden hat, dass Philipp Lahm nun auch in der Nationalelf wie beim FC Bayern auf die rechte Seite wechselt. Damit ist der Platz gegenüber für Schmelzer endgültig frei, der schon vor drei Wochen gegen Argentinien sein bisher bestes von sieben Länderspielen gemacht hatte.
Das lag auch daran, weil dort sein Dortmunder Kollege Reus vor ihm spielte - und die Nationalelf erstmals versuchte, die neue aber in Dortmund bestens bekannte Anforderung des Bundestrainers umzusetzen: den Gegner früh zu attackieren, ein hohes Pressing zu spielen, um den Ball ganz schnell zu erobern und zum Torabschluss zu kommen - so wie es in Deutschland eben kein Team besser kann als der deutsche Meister. „Borussia Dortmund macht das sehr gut“, sagte Löw schon in diesen Tagen. Als internationales Vorbild aber dienen dem Bundestrainer dabei wie üblich Spanien und der FC Barcelona.
Den attackierenden Dortmund-Faktor etablieren
“Wir haben zwei, drei Themen rausgestrichen für die nächsten zwei Jahre“, sagte der Bundestrainer über die Konsequenzen, die er mit seinem Trainerteam aus der Europameisterschaft gezogen hat. Zentral ist dabei, den attackierenden Dortmund-Faktor nun auch in der Nationalelf zu etablieren. Er selbst mag das nicht so sagen. Löw spricht lieber davon, dass die Nationalmannschaft ihren seit zwei, drei Jahren verinnerlichten Stil nun offensiv weiterentwickelt. Er wolle und werde keine Spielweise einer Bundesligamannschaft „kopieren“. Aber bei der Analyse der Niederlage gegen Italien ist Löw und seinen Helfern natürlich auch aufgefallen, dass entscheidende Fehler bei den Gegentoren nicht erst in der Abwehr passierten. Die Angriffe hätten sich schon viel früher verhindern lassen, in der Hälfte des Gegners durch frühes Attackieren, eben so, wie man es in Dortmund längst gelernt hat.
Das frühe Pressing sei so ziemlich das Schwierigste im modernen Fußball, sagt Löw, eine Sache, die man ständig trainieren müsse. Eigentlich eine Aufgabe, die man nur im Verein lernen könne, am besten wie in Barcelona schon in der Jugend. Man müsse da in Deutschland ein wenig „umdenken“, so der Bundestrainer. Bisher sei man der Auffassung, dass man im Spiel erst bei Ballbesitz „aktiv“ sein müsse - und eher passiv bei Ballbesitz des Gegners. Aber Dortmund, Barcelona, Spanien machen es umgekehrt: höchste Aktivität bei Ballverlust, um den Gegner sofort unter Stress zu setzen.
Abzeichnende Stiländerungen im deutschen Spitzenfußball
Doppelter Vorteil: Man hält so den Gegner vom eigenen Tor fern und baut mehrere Abwehrreihen auf - und bei Balleroberung ist man dem Ziel ganz schnell ganz nah. Erste Ansätze im „aktiven Spiel gegen den Ball“, wie Löw das im Fachjargon ausdrückt, waren in dieser Saison auch schon bei den Bayern zu sehen, im Supercup gegen Dortmund und auch beim 6:1 gegen Stuttgart. „Vier Tore haben wir aus dem Umschalten geschossen“, sagte Thomas Müller am Mittwoch über die Erfolgserlebnisse am Wochenende angesichts der sich abzeichnenden Stiländerungen im deutschen Spitzenfußball.
Aber vor allem bedeutet das viel Arbeit in den kommenden Monaten und Jahren. Färöer soll den neuen deutschen Angriffsehrgeiz am Freitag gleich zu spüren bekommen. „Das ist ein guter Gegner, um Fehler zu erzwingen“, sagt Müller. Wer hätte das vom deutschen Fußball gedacht: Gegen Färöer lernen, heißt siegen lernen.