Fußball im Krieg : Das Spiel der Hoffnung
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„Einer der schönsten Augenblicke meines Lebens“: Jürgen Todenhöfer bei der Eröffnung des Bolzplatzes für Waisenkinder in Afghanistan Bild: Julia Leeb
Irak, Libyen, Syrien - seit 50 Jahren bereist Jürgen Todenhöfer Krisengebiete. Fußballspiele sind Höhepunkte in seinem Leben. In Afghanistan hat er ein Waisenhaus bauen lassen - natürlich mit Bolzplatz.
„In meiner Arbeitswut habe ich versäumt, den Menschen, die bereit waren, meine Wege mitzugehen, die Aufmerksamkeit und Liebe zu schenken, die sie brauchten. Irgendwann habe ich sie alle verloren. Es wurde schwer, mit mir zu leben - selbst für mich. Die kleinen Freuden des Lebens habe ich viel zu lange missachtet. Heute passiert mir das nicht mehr. Mein wichtigster privater Termin ist inzwischen der Samstagnachmittag.“ (Jürgen Todenhöfer, „Teile dein Glück“, Seite 66)
München, ein Samstagnachmittag im November. Dauerregen hat den Englischen Garten in ein Schlammbad verwandelt. Der Fußballplatz ist eine hügelige Wiese, dort wo die Mittellinie sein könnte, ragt ein großer Baum in den düsteren Himmel. Vier Stangen werden als Torpfosten in den Boden gerammt. Jürgen Todenhöfer hat sich hier vor drei Wochen einen Muskelfaserriss zugezogen, zu sechs Wochen Pause riet man ihm. Am Vorabend hat ihn der Sportarzt von 1860 München bandagiert. „Ich gehe heute nur ins Tor“, ruft Todenhöfer über den Platz. Nach wenigen Minuten fliegt er durch die Luft und faustet einen scharf geschossenen Ball ins Toraus. Die Mitspieler johlen, Todenhöfer landet im Schlamm. Er ist 73 Jahre alt.
Herr Todenhöfer, Sie waren Richter, dann 18 Jahre CDU-Bundestagsabgeordneter und noch mal 18 Jahre stellvertretender Vorstandschef des Burda-Konzerns. Seit 2008 reisen Sie als Autor durch die arabische Welt. Wie oft kommt man in so einem Leben zum Fußballspielen?
„Fußballspiele waren immer der Höhepunkt in meinem Leben. Als Abgeordneter habe ich regelmäßig gespielt, in München hat mich ein Bekannter vor 15 Jahren mit in den Englischen Garten genommen. Seitdem lege ich jeden Flug so, dass ich am Samstagnachmittag noch in der Stadt bin. Für mich ist es ein unbeschreibliches Glück, immer noch Fußball spielen zu können. Zu rennen, gefoult zu werden, mal einen unhaltbaren Ball zu halten, mal eine hundertprozentige Chance nicht zu versenken. Es gibt nichts Schöneres.“
Todenhöfer wohnt in einer begehbaren Reportage. Die Wände seiner Zweizimmerwohnung verschwinden hinter riesigen Werken des Berliner Künstlers Peter Buechler, der handschriftliche Zeilen aus Todenhöfers Buch „Du sollst nicht töten“ über Fotografien von der arabischen Revolution gelegt hat. Meterhoch explodieren Bomben in Libyen, jubeln Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo, blicken afghanische Waisenkinder traurig auf Todenhöfer herab. Jeden Tag. „Ich mute mir diese Kriegsbilder bewusst zu“, sagt er. „Ich will das alles nicht vergessen.“ In „Du sollst nicht töten“ beschreibt Todenhöfer den Krieg aus der Sicht von Zivilisten, er legte sich dafür auf dem Tahrir-Platz vor einen Panzer, interviewte in Syrien Diktator Assad und wurde in Libyen von Gaddafis Truppen mit Raketen beschossen. Ein Bild direkt neben der Wohnungstür zeigt Todenhöfer, wie er in der Wüste vor dem Beschuss flüchtet. Ein Auto wird im Hintergrund zu einem Feuerball. Sein Freund, Abdul Latif, saß noch darin.
Sie bereisen seit 50 Jahren Krisengebiete. Spielt der Sport im Leben der Menschen dort noch eine Rolle?
„Ja, eine überragende. Fährt man durch Syrien oder den Irak, sieht man auf jedem Bolzplatz Kinder Fußball spielen. Morgens, nachmittags, abends. 2007 habe ich eine Woche in der Stadt Ramadi beim irakischen Widerstand verbracht, die Amerikaner hatten die Stadt eingekesselt und flogen mit ihren Hubschraubern über uns. Die irakische Nationalmannschaft gewann in dieser Woche die Asien-Meisterschaft. Nach dem Endspiel haben die Menschen geheult vor Glück. Fünf Jahre später habe ich in Syrien das EM-Finale geschaut. In Damaskus lief in jedem Café der Fernseher. Ich habe keinen Platz gefunden und in irgendeinem Garten zusammen mit 60 begeisterten Syrern Fußball geschaut. Im Hintergrund hörte man Schüsse und Explosionen. Das hat 90 Minuten lang niemanden interessiert.“