Klopp in Liverpool am Tiefpunkt : „Wir machen uns große Sorgen“
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Wusste sich und seiner Mannschaft nicht mehr zu helfen: Jürgen Klopp Bild: dpa
So frustriert wie auf dieser Pressekonferenz hat man den deutschen Trainer selten gesehen. Der FC Liverpool erlebt derzeit einen rasanten Absturz. Ist Jürgen Klopps Job in Gefahr?
Jürgen Klopp konnte einem leidtun. Sein FC Liverpool war gerade dabei, sich beim Auswärtsspiel in Brighton am Samstagnachmittag bis auf die Knochen zu blamieren, als der Trainer resigniert vor seiner Bank stand und zwei Finger auf die Lippen legte, so als wollte er es sich verkneifen, vor Wut wie wild herumzubrüllen. Das formstarke Brighton & Hove Albion dominierte das Spiel in allen Belangen, hatte mehr Ballbesitz und schoss fast dreimal so oft aufs Tor; Liverpool dagegen lief kopf- und bisweilen herzlos hinterher. Beim Schlusspfiff stand es 3:0 für die Heimmannschaft von Englands Südküste, und Liverpool musste sich bedanken, dass es nicht noch schlimmer gekommen war.
Im Anschluss an die Partie sprach Klopp in den Medien Tacheles. „Ich kann mich wirklich nicht an ein schlechteres Spiel erinnern. Nicht nur bei Liverpool“, sagte der Trainer, der vor seinem Wechsel nach England im Herbst 2015 für Borussia Dortmund und Mainz 05 gearbeitet hatte: „Heute ist der Tiefpunkt.“ In der Tabelle der Premier League versinkt Liverpool nach 18 Spielen immer mehr im Morast des Mittelmaßes, die Europapokalplätze geraten zusehends außer Reichweite. So schlecht wie jetzt stand Liverpool zu diesem Zeitpunkt einer Saison mit Jürgen Klopp als Trainer noch nie da. „Natürlich, wir machen uns große Sorgen“, sagte Klopp angesprochen auf die Situation. „Wie könnte ich nicht nach so einem Spiel?“
Kritiker bemängeln fehlende Entwicklung unter Klopp
Es knirscht in allen Mannschaftsteilen, auch wegen sich häufender Verletzungen wichtiger Spieler. Im Angriff fehlte auch gegen Brighton wieder die Durchschlagskraft: Die Mannschaft spürt das Fehlen von Sadio Mané, der im Sommer nach sechs Jahren in Liverpool zum FC Bayern gewechselt ist. Die wenigen Chancen, die sich Liverpool am Samstag herausspielte, vergaben die Offensivspieler um den bislang einzigen Winterzugang Cody Gakpo zum Teil kläglich. In der Mittelfeldzentrale setzte Klopp auf das erfahrene Trio Jordan Henderson, Thiago und Fabinho, das sich von quirligen Brightonern ein ums andere Mal schwindelig spielen ließ. Kapitän Henderson übernahm hinterher zwar heldenmütig die Verantwortung, strahlte jedoch wenig Zuversicht aus: „Wir haben wenig Selbstvertrauen und das Energie-Level ist niedrig. Wir müssen weiter kämpfen.“
Wie zuvor beim 2:2 gegen Wolverhampton und beim 1:3 in Brentford war es aber vor allem die Abwehr, der es ohne den verletzten Abwehrchef Virgil van Dijk an Organisation mangelte. Die Viererkette aus Ibrahima Konaté und Joel Matip in der Innenverteidigung sowie Andrew Robertson und Trent Alexander-Arnold auf den Außenpositionen wirkte überfordert; Brighton nutzte Liverpools gewohnt hohe Verteidigungslinie immer wieder für Zuspiele in die Tiefe, weil speziell die Außenbahnen nicht ausreichend abgesichert waren. Hinzu kamen unnötige Fehler wie beim 1:0, als Brightons Gegenpressing – eigentlich eine Spezialität von Liverpool – Matip zu einem fatalen Fehlpass im Spielaufbau zwang. Das 3:0 resultierte aus einem Einwurf, wonach Brightons Danny Welbeck den Ball durch Liverpools Strafraum jonglierte und aus kurzer Distanz traf. Gut 20 Minuten vor dem Ende versuchte Klopp, seinem Team durch einen Vierfach-Wechsel frische Impulse zu geben, doch es änderte nichts.
Dabei ist es erst ein paar Monate her, als in England kein Spielbericht, keine Analyse über Liverpool ohne das Wort „Quadrupel“ auskam. Denn in der vergangenen Saison hatte Liverpool die Chance, gleich vier Titel zu gewinnen: Ligapokal, FA Cup, Meisterschaft und Champions League. Gereicht hat es am Ende zwar nur für die nationalen Pokalwettbewerbe, aber der Absturz von einer beinahe historischen Saison zu dem, was selbst Klopp als „Tiefpunkt“ bezeichnet, verlief rasant.
Klopp hat das Team seit seiner Ankunft in England auf den viel gerühmten „Heavy-Metal-Fußball“ getrimmt, mit dem Liverpool 2019 zuerst die Champions League und im Jahr darauf die erste Meisterschaft seit 30 Jahren gewann. Viele der Spieler, die bei diesen Triumphen auf dem Rasen standen, gehören auch heute noch zu den wichtigsten Akteuren. Kritiker bemängeln deshalb, dass es abgesehen von kleineren taktischen Experimenten keine Weiterentwicklung gegeben habe. Bis Ende Januar können die Klubs der Premier League Zugänge verpflichten, aber schon vor dem Spiel gegen Brighton reagierte Klopp gereizt, als er darauf angesprochen wurde: „Der Transfermarkt ist nicht die Lösung für uns.“
Ist Klopps Job in Gefahr? Bei den Fans ist er nach wie vor beliebt: Erst vor ein paar Monaten wurde ein riesiges Wandgemälde von Klopp in Jubelpose enthüllt – nicht das erste dieser Art in der Stadt. Auch bei den amerikanischen Eigentümern hat er durch seine Verdienste in den vergangenen gut sieben Jahren wohl noch einiges an Kredit. Klopps Vertrag läuft bis Sommer 2026, vergangenen April hat er vorzeitig um zwei weitere Jahre verlängert. Bei seinen früheren Stationen Mainz und Dortmund war jeweils nach rund sieben Jahren Schluss gewesen. Der BVB rutschte damals mit seinem ehemaligen Meisterteam zwischenzeitlich sogar bis auf die Abstiegsplätze ab. Von einem angeblichen Siebenjahreszyklus wollte Klopp trotzdem nichts wissen, als er vor dem Hintergrund von Liverpools Fehlstart in die Saison damit konfrontiert wurde: „Die Situation ist komplett anders.“
Gegen Brighton hatte Klopp von seiner sonst üblichen 4-3-3-Formation auf ein 4-1-4-1 umgestellt. Im Fernsehinterview nach der Niederlage sagte er mit einem gequälten Lachen, er sei auf diese Idee gekommen, „aber um dem Team zu helfen, ehrlich gesagt“. Der Plan ging nicht auf, „wir haben ihnen voll in die Karten gespielt“.
Viel Zeit, um an besseren Ideen zu tüfteln, bleibt dem Trainer nicht. Am Dienstag trifft Liverpool im FA-Cup-Drittrundenrückspiel auf Wolverhampton, am Samstag ist der ebenfalls kriselnde FC Chelsea zu Gast in Anfield. Immerhin: Etwas Gutes sah Klopp schließlich doch an der Blamage in Brighton: „Uns zu steigern, sollte nicht zu schwierig sein.“
City verliert den Überblick
Zum ersten Mal seit fast sieben Jahren präsentiert sich Manchester United wieder auf Augenhöhe mit dem Lokalrivalen City. Nach dem 2:1-Sieg im 189. Stadtderby trennt die beiden Fußballklubs auf Platz drei und vier der Premier League nur noch ein Punkt. Noch hat die Mannschaft von Trainer Pep Guardiola knapp die Nase vorn und sie spielt auch noch den besseren Fußball. Aber in den vergangenen Wochen sind den „Citizens“ ein wenig der Fokus, die Zielstrebigkeit und das Glück abhanden gekommen, während United nach dem Abschied von Cristiano Ronaldo als gefestigte Einheit auftritt.
Nach der peinlichen 0:2-Niederlage im Liga-Cup gegen Southampton steuerte City am Samstag dem vierten Derbysieg nacheinander entgegen. Grealish hatte auf Flanke von de Bruyne kurz nach seiner Einwechslung zum 1:0-Führungstreffer eingeköpft (60. Minute). Doch Tore von Bruno Fernandes (78. ) und Rashford (82.) drehten die Partie am Samstag in drei Minuten zugunsten der „Red Devils“. Das Ausgleichstor war höchst umstritten. Zunächst hatte der Schiedsrichter auf Abseits erkannt, doch nach einem Hinweis des VAR entschied er sich um. Dass Rashford vor Fernandes’ 1:1 abseits stand, war unstrittig. Ob er sich dabei passiv verhielt oder die Szene beeinflusste, war Interpretationssache. Rashford berührte nicht den Ball, sein Laufweg zum Ball allerdings lenkte die Aufmerksamkeit der City-Verteidigung auf sich. Sogar United-Trainer ten Hag konnte „die Argumente der anderen Seite nachvollziehen“. Guardiola führte aus, dass sich ohne Rashford seine Innenverteidiger auf Fernandes konzentriert hätten, der nicht im Abseits stand, und ihn noch in einen Zweikampf hätten verwickeln können. „Wenn ein Stürmer schießt und ein anderer dem Torwart die Sicht nimmt, wird Abseits gepfiffen, auch wenn er den Ball nicht berührt“, sagte Guardiola. Damit meinte er die Aussage des Schiedsrichters zu widerlegen, wonach er den Treffer gelten lassen müsse, weil Rashford nicht an den Ball gekommen war.
Nach dem Ausgleich verlor Manchester City den Überblick und musste wenig später sogar noch das 1:2 durch Rashford hinnehmen, was dem Spielverlauf nicht gerecht wurde, obwohl United im Vergleich zur 3:6-Hinspielniederlage City zu fordern verstand. Mit dem 2:1 traf Rashford in jedem der letzten sieben Ligaspiele und im neunten aufeinanderfolgenden Heimspiel für Manchester United. Damit stellte der englische Nationalstürmer den Vereinsrekord von Dennis Viollet aus dem Jahr 1959 ein. (peh.)