FAZ.NET-Frühkritik „Anne Will“ : Die Welt ist so verkommen
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Fußball-Moral: Wenn ein 2:2 beiden nutzt, geht das Spiel dann auch 2:2 aus? Bild: dpa
Der Fußball-Wettskandal war Thema in der ARD. Eine Expertin und ein kompetenter ehemaliger Manager reichen nicht, um das wilde Spekulieren der ahnungslosen Mitredner in rechte Bahnen zu lenken.
Hat die Wettmafia womöglich manipuliert, als die Gästeliste für „Anne Will“ zusammengestellt wurde? Oder verhält es sich so wie mit Fußballspielen, bei denen ein 2:2 am Ende beiden hilft? Dann endet das Spiel tatsächlich 2:2 und es ist trotzdem schwer, von Manipulation auszugehen. Also mag die Zusammenstellung der ARD-Gesprächsrunde zum Thema „Der Wettskandal - Wer traut noch unseren Fußballern?“ eben doch nur dem oftmals üblichen Niveau der deutschen Talkshows entsprechen.
Da saß Werner Hansch, als Stadionsprecher von Schalke 04 und Fernseh-Kommentator der 90er Jahre zur „Stimme des Ruhrpotts“ geworden, und palaverte über ein 0:0-Spiel zwischen Uerdingen und Mönchengladbach in den 70er Jahren, das beiden gleichermaßen nutzte. Und trotzdem brummte er im Brustton der Überzeugung: „Die Spiele, die ich besuche, sind nicht verschoben, weil die Bundesliga wegen der hohen Gehälter autark ist.“ Aha. Herr Hansch hat die Runde mit seiner Unbestechlichkeits-These also keinen Zentimeter weiter gebracht. Aber das war auch nicht zu erwarten.
Der ehemalige Schweizer Schiedsrichter und spätere ZDF-Experte Urs Meier schilderte gleich mehrfach, wie er vor einigen Jahren bei Bekanntwerden der ersten Schiedsrichterskandale in Deutschland und der Schweiz vom Glauben an die prinzipielle Unschuld seiner Schiedsrichterkollegen abgefallen sei. Erkenntnisbringende Aussagen über die Struktur des Schiedsrichterwesens in ärmeren europäischen Ländern, die womöglich die Verführbarkeit von Unparteiischen begünstigen, blieb er leider schuldig.
Diether Dehm, für die Linke im Bundestag sitzender Musikproduzent, wurde offenbar allein wegen seines in den 50er Jahren zu Nationalspieler-Ehren gekommenen Vaters als sachkundig auch bezüglich der Spielmanipulation eingeschätzt und erstaunte uns mit der sehr pauschalen Schuldzuweisung an das „Agentenunwesen“, das die Spieler im Regen stehen lasse.
Der Talk dauert 75 Minuten
Bei so viel Unsinn, der in den gut 75 Minuten verbreitet wurde, fiel es den kompetenten Diskutanten in der Runde schwer, bei der Beantwortung der Frage „Wer traut noch unseren Fußballern?“ zu helfen. Willi Lemke, der ehemalige Manager von Werder Bremen, vermittelte immerhin einen Eindruck davon, wie schwer es für Fußballvereine ist, ihrer Verantwortung für ihre Spieler gerecht zu werden und mögliche Anfälligkeiten beispielsweise für Spielsucht oder Wettmanipulation im Trainingsalltag zu erkennen. Sein Lösungsansatz, mit dem Videobeweis bei strittigen Situationen auch Wettmanipulationen den Riegel vorzuschieben, wirkte allerdings erstaunlich naiv.

Allein Sylvia Schenk, einst 800-Meter-Läuferin und nach einigen Jahren als leidgeprüfte Präsidentin des Bundes deutscher Radfahrer besonders kundig bezüglich Doping und Ergebnismanipulationen im Radsport, deutete derweil fundiert an, wie Wettmanipulation ernsthaft bekämpft werden kann. „Die Bundesliga hat sicher durch die hohen Gehälter ein geringeres Risiko der Manipulation“, sagte die heute für die Korruptionsbekämpfer von Transparency International tätige Juristin. „Aber wir wissen, dass teilweise auch mit Erpressung gearbeitet wird. Ein Spieler kann beispielsweise im Rotlichtmilieu gesehen werden und ist fortan deshalb erpressbar. Wir müssen deshalb viel mehr in die Prävention der Spieler und der Begleitpersonen investieren und sie davor warnen, wie sie in die Situation geraten können, erpressbar zu sein.“
„Hauptberuflich Zocker mit dem Hobby Fußballprofi“
Ein ehemaliger Profi, der in diese Situation geraten war, ist René Schnitzler. Der einstige Zweitligaprofi von St. Pauli ist wegen Wettbetrugs angeklagt, gesteht aber lediglich ein, Geld von Wettpaten genommen zu haben ohne die erwünschte Gegenleistung, erbracht zu haben. Angeblich hat er nie tatsächlich Ergebnisse beeinflusst. Schnitzler selbst wurde anfällig für die Kontaktanbahnung, weil er spielsüchtig und entsprechend verschuldet war. „Ich war hauptberuflicher Zocker mit dem Hobby Fußballprofi“, sagte er bei Anne Will. „Ich war anfällig für die Wettmafia, weil ich in den verrauchten Hinterzimmern an dunkle Gestalten geraten bin, die mich in Kontakt brachten.“
Der heute 27 Jahre alte ehemalige Profi hat seine Lebensgeschichte vor zwei Jahren in einem Buch offengelegt. Am Mittwochabend erzählte er von der „Gepäckbandwette“, die als eine der „Einstiegsdrogen“ für die Spielsucht ein merkwürdiges Licht auf die Fußballprofiszene wirft. Laut Schnitzler war es zu seiner Zeit üblich, dass durchaus mal zehn Spieler jeweils 500 Euro darauf setzen, welcher Koffer nach Rückkehr von einer Auswärtsfahrt zuerst vom Gepäckband transportiert wird. Genauso üblich ist es auch, dass die etablierten Profis auf den langen Busfahrten mit ihrem Team in der letzten Bank um horrende Beträge pokern.
Gesprächspartner aus der Wettbranche fehlte
„Es geht auch um die Kultur: Schon bei Fahrten zu Jugendspielen wird auf der Hinterbank um Geld gepokert“, sagt Sylvia Schenk. Noch problematischer sei aber derzeit der Zustand des Weltverbands Fifa, dem die Glaubwürdigkeit für den Kampf gegen Wettmanipulation fehle. „Man kann nicht Spielmanipulation bekämpfen und ich habe dann Probleme bis ins Exekutivkomitee der Fifa“, sagte sie.
Leider blieb aber auch Sylvia Schenk auf diesem Diskussionsniveau stecken. Denn erstaunlicherweise fehlte in der Runde ein ganz logischer Gesprächspartner aus der Wettbranche, die ja eigentlich der wahrhaft Geschädigte ist, weil manipulierte Spiele den Gewinn der Unternehmen schmälern: Dann hätten wir womöglich erfahren, weshalb überhaupt so absurde Wetten auf erste Eckstöße oder Einwürfe angeboten werden, obwohl gerade diese als Einfallstore für Betrug und Manipulation dienen? So aber müssen wir uns wohl dem Schlusswort Anne Wills anschließen: „Die Welt ist so verkommen.“