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Eichlers Eurogoals : Ein Rowdie, der sich als Gentleman verkleidet

Provokateur an der Seitenlinie: Mourinho wäre im Rugby fehl am Platze Bild: AP

Provozieren, täuschen, reklamieren: Die dunklen Künste des Fußballs pflegt keiner mehr als José Mourinho. Erstaunlich, dass er ausgerechnet Rugby „phantastisch“ findet. Denn dort hätten Typen wie er keine Chance.

          3 Min.

          In England hat am Freitag die Rugby-Weltmeisterschaft begonnen. Es ist das größte Sportereignis der Welt, von dem in Deutschland (und vielen anderen Ländern) kaum einer etwas weiß. Bisher jedenfalls. Am Samstag begannen zwei Männer, jeder auf seine Weise, ordentlich Werbung für diese Sportart zu machen.

          Christian Eichler
          Sportkorrespondent in München.

          Der eine war Eddie Jones, ein Australier mit japanischer Mutter. Der von ihm trainierten Auswahl von Japan gelang die „größte Sensation der Rugby-Geschichte“, wie die TV-Kommentatoren der Live-Übertragung aus Brighton fanden. Durch einen grandiosen Angriff in letzter Sekunde gewannen die Japaner 34:32 gegen den zweimaligen Weltmeister und WM-Mitfavoriten Südafrika – ein knappes Jahr, nachdem sich Jones in München Tipps bei einem gewissen Pep Guardiola geholt hatte. Das Schnuppern beim Fußball hat gefruchtet. 

          Der andere, der am Samstag Werbung für Rugby machte, war Guardiolas Privatfeind José Mourinho. Er finde Rugby „phantastisch“, erklärte er. Die Parallele zum Fußball, die Mourinho nach dem 2:0-Derbysieg von Chelsea gegen Arsenal zog, zeugte allerdings von einem ganz anderen Verständnis der beiden Sportarten.

          Treten, kratzen, beleidigen - das gefällt Mourinho

          Das große Thema der Partie war die unappetitliche Art und Weise, mit der Mourinhos Torjäger Diego Costa Gegenspieler malträtierte. Er langte Laurent Koscielny mehrfach ins Gesicht, fügte dessen Abwehrkollegen Gabriel Paulista drei lange Kratzer im Nacken zu, beschimpfte und beleidigte ihn unentwegt und provozierte so die Hinausstellung des Arsenal-Verteidigers, der sich zu einem Tritt mit der Ferse gegen das Schienbein des hinter ihm zeternden Gegenspielers hatte hinreißen lassen.

          Kontrahenten Diego Costa und Gabriel Paulista: So lange provozieren, bis der andere ausrastet
          Kontrahenten Diego Costa und Gabriel Paulista: So lange provozieren, bis der andere ausrastet : Bild: Reuters

          Ob nicht stattdessen Costa vom Platz hätte fliegen müssen, wurde Mourinho auf der Pressekonferenz gefragt. Er umging die Antwort mehrfach mit Dozieren über „emotionale Kontrolle“. Beim dritten Nachhaken der Journalisten ließ er eine Eloge auf Costa los: Der spiele so, „wie man spielen muss“. Deshalb habe man im Fußball „volle Stadien“ und fette Fernsehverträge, weil „das Spiel genauso gespielt werden muss“. Und deshalb gehe er auch zur Rugby-WM, weil er „Rugby liebt“. Am nächsten Tag verfolgte Mourinho im Wembley-Stadion den 26:16-Sieg der „All Blacks“, des Rugby-Weltmeisters Neuseeland, gegen Argentinien.

          Die „Kunst des Krieges“

          Aber da hat der Portugiese wohl etwas falsch verstanden. Die dunklen Künste des Sports, die Mourinho pflegt, ja die „Kunst des Krieges“, wie Costa seine Autobiographie und damit seine Art zu spielen nannte, sind nur im Fußball, nicht im viel härteren, aber faireren Rugby zu Hause.

          Einst waren Rugby und Fußball zwei nur leicht unterschiedliche Ausprägungen derselben Spielidee, ehe 1863 mit der Grundlegung der heutigen Fußballregeln, vor allem dem Verbot des Spielens mit der Hand und des Festhaltens des Gegners, zwei klar voneinander getrennte Spiele daraus wurden. Der große Unterschied war lange im Mutterland England auch ein sozialer, Fußball als das Spiel der proletarischen Massen, Rugby das der gesellschaftlichen Elite. Auf den Punkt brachte das der der bekannte Satz, Rugby sei ein Spiel für Rowdies, betrieben von Gentlemen, Fußball ein Spiel für Gentlemen, betrieben von Rowdies.

          Mourinho liebt Spieler wie Costa, die alle Register des gerade noch Erlaubten ziehen
          Mourinho liebt Spieler wie Costa, die alle Register des gerade noch Erlaubten ziehen : Bild: dpa

          Erstaunlicherweise scheint, obwohl die sozialen und sportlichen Klassenschranken seit dem 19. Jahrhundert geschrumpft sind, der vom Bonmot beschriebene Unterschied im Geist, in dem die beiden Spiele betrieben werden, im 21. Jahrhundert immer deutlicher zu werden. Man sieht ihn gerade beim Vergleich mit der Spielidee, der Mourinhos Teams folgen. Sie nutzen alle Möglichkeiten, die Schwächen im Regelwerk und Schwächen des Schiedsrichters ihnen geben, bis zum Äußersten. Das Provozieren, das Täuschen, das Klammern, Fallenlassen, Liegenbleiben, Reklamieren, das Fordern von Strafen, das Anbrüllen von Schieds- und Linienrichtern, all diese persönliche, respektlose, taktische Aggression gibt es im Rugby nicht, nur im Fußball.

          Beim Rugby gibt es keine Diskussionen

          In einer besseren Welt könnte nicht nur in dieser Hinsicht der kleinere, aber stärkere Bruder Rugby dem großen Fußball als sportliches Vorbild dienen. Vor allem in Sachen der Autorität des Schiedsrichters und der Transparenz der Entscheidungen. Beim Rugby gibt es keine Diskussionen mit dem Schiedsrichter: Nur der Kapitän ist befugt, mit ihm zu sprechen. Es ist eine Regel, die sich Mourinhos unterlegener Arsenal-Kollege Arsène Wenger vor Jahren auch für den Fußball gewünscht hat. Doch solche Ideen sind im starren Regelsystem des Fußballs, von einem verschwiegenen Altherrenklub gehütet, undenkbar.

          Gegenentwurf Rugby: Hart, aber fair
          Gegenentwurf Rugby: Hart, aber fair : Bild: AFP

          Wenn der Rugby-Schiedsrichter sich einer Entscheidung nicht sicher ist, kann er den Kollegen am Fernseher befragen, und jeder im Stadion kann die Angelegenheit über die Bildschirme verfolgen – perfekte Transparenz der Entscheidungsfindung. Im Vergleich zum Rugby-Kollegen ist der Fußball-Schiedsrichter ein armer Troll. Das Regelwerk verbietet ihm, dieselben Informationen zu bekommen wie jeder Zuschauer. Und schützt seine Autorität kaum. Dafür bekommt er den vollen Druck von cleveren Schau-Spielern und manipulativen Trainern wie Mourinho, die genau hier die Schwachstelle wittern, die es zu nutzen gilt.

          Und genau dieses Spiel also liebt Mourinho? Nein, er wäre im Rugby fehl am Platze. Weil seine Psycho-Spiele dort keine Wirkung hätten. Dort kämpft man mit offenem Visier. Als nach dem Arsenal-Spiel der Reporter Andy Burton von Sky Sports die dreifach unbeantwortete Frage nach Costas Rot-Würdigkeit nochmals aufbrachte und fand, dass Costa in der spielentscheidenden Szene kurz vor der Pause „drei oder vier separate Gelbe Karten“ verdient hatte, sagte Mourinho: „Ich schätze, was Sie als Kind gespielt haben, war Federball.“ Burtons Erwiderung: „Nein, ich habe Rugby gespielt.“ Anders als Mourinho.

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