Einstiger Tabellenführer : Der Motor des 1. FC Union stottert
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Am Boden: Union-Torhüter Lennart Grill beim Spiel gegen Leverkusen Bild: dpa
Der 1. FC Union Berlin sehnt die WM- und Winterpause herbei. Nach den rauschhaften Wochen zuletzt wirken die Ressourcen des Bundesliga-Kaders nun stark angegriffen.
Tausend Reisekilometer hat der Tross des 1. FC Union in den vergangenen Wochen zurückgelegt und so verschiedenste Teile Europas entdeckt. Die Berliner waren in Braga und genossen die wärmende Sonne Portugals, sahen den Brüsseler Vorort Saint-Gilles und spielten in Malmö, der Heimat von Zlatan Ibrahimovic. Im kommenden Jahr geht die launige Tour durch Europa weiter, als Nächstes steht Amsterdam auf dem Programm. Ajax, Rekordmeister der Niederlande, wartet als Gegner in der Europa League.
Das ist aber noch weit weg, nicht nur geographisch. Zum Duell kommt es erst im Februar, bis dahin vergehen noch gut drei Monate, und schenkte man den Worten Urs Fischers nach dem 0:5 in Leverkusen Glauben, dann ist es auch gut so. „Der Tank der Mannschaft ist nicht mehr voll“, sagte der Trainer nach der höchsten Niederlage der Saison.
Entweder hat Fischer seine Meinung nach einem Tag Pause einfach revidiert, oder seine Spieler erreichte über Nacht eine ungeahnte Treibstoffzufuhr. Vor dem Heimspiel gegen Augsburg an diesem Mittwoch (20.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) sagte er nun: „Der Tank ist immer noch gefüllt. Die Mannschaft ist weiterhin bereit, am Limit zu arbeiten.“
Ja, wie jetzt? So richtig wissen sie das wohl selbst gerade nicht beim 1. FC Union. Sicher ist nur: Die nahende Unterbrechung der Bundesliga, die wegen der anstehenden Weltmeisterschaft mehr als zwei Monate dauert, könnte für Union kaum passender kommen. Die Abwicklung der Europa-League-Vorrunde im Eilverfahren hat viel Kraft gekostet, die nationalen Wettbewerbe ebenfalls. Überall ist Union noch aussichtsreich vertreten.
Das Ziel ist nicht die Meisterschaft
Was in Leverkusen passierte, empfand Fischer jedoch als „Ohrfeige“, wie er sagt. Fünf Gegentore hatte es in dieser Saison noch nie gegeben. Erst recht nicht innerhalb einer Halbzeit. „Uns allen ist bewusst, dass die zweite Halbzeit nicht unser bestes Gesicht war. Darum wollen wir eine Reaktion zeigen“, sagte Fischer. Den aus der Niederlage resultierenden Verlust der Tabellenführung versuchte er nicht weiter zu thematisieren. Früher oder später musste das ja passieren, lautete die Botschaft der vergangenen zwei Tage.
Was waren das zuletzt für aufregende Wochen gewesen: Sieben Runden hatte Union an der Tabellenspitze gestanden. „Deutscher Meister wird nur der FCU“, sangen die Fans bei jeder Gelegenheit in der Alten Försterei. Immer mit einer gewissen Portion Selbstironie. Dass zumindest die Spieler nicht mit diesem Ziel liebäugeln, stellten sie auch ungefragt immer wieder klar. Wichtig sei es, so schnell wie möglich 40 Punkte zu sammeln, beteten sie das gleiche Mantra runter wie ihr Trainer Urs Fischer. 40 Punkte, so die allgemeine Sichtweise, sollten reichen, um auch in der kommenden Saison Bundesliga spielen zu dürfen.
Das mutet nach arg aufgesetzter Untertreibung an, ist bei genauerer Betrachtung aber alles andere als weltfremd. „Wir gehören zu den Vereinen, die jedes Jahr aufs Neue schauen müssen, dass sie einen Kader zusammenbekommen, der dazu in der Lage ist, Union zumindest weiter in der Bundesliga zu halten“, sagt Sport-Geschäftsführer Oliver Ruhnert.
In diesem Sommer hat Ruhnert wieder gute Arbeit geleistet und dafür von vielen Seiten Lob erhalten. In den jüngsten Wochen zeigte sich aber, was Ruhnert meint: Bei Union muss alles bis ins kleinste Detail zusammenpassen, damit sich Erfolg einstellt. Das ist über eine gesamte Saison kaum möglich. Ist die Kraftstoffzufuhr nicht mehr aus allen Bereichen gesichert, gerät der Motor mächtig ins Stottern.
Angreifer Sheraldo Becker, mit sechs Treffern erfolgreichster Torschütze, wartet national seit sechs Spielen auf ein Tor. Genauso lange torlos ist Sturmpartner Jordan Siebatcheu in der Bundesliga. Auch defensiv läuft es längst nicht mehr so gut wie in den Spätsommerwochen. Von den vergangenen drei Spielen in der Bundesliga verlor Union zwei, dabei kassierte die Mannschaft genau so viele Gegentore wie in den vorangegangenen elf Begegnungen.
Unions Stil, die robuste Vorgehensweise und das zügige Überbrücken des Mittelfeldes, wurde von den Gegnern immer öfter kopiert, siehe Bochum (1:2). Gegen Augsburg erwartet Fischer nichts anderes. „Da geht es um Körperlichkeit. Das ist eine Mannschaft, die dir auf den Füßen steht und eklig ist. Eine Mannschaft, die viele lange Bälle spielt und sehr körperlich Fußball spielt und gefährlich ist nach Standards.“ Genau so hatte Bayerns Kapitän Manuel Neuer vor einiger Zeit einen Gegner beschrieben, der bei ihm eine seltsame Gemütsmischung aus Ärger und Respekt auslöste. Dieser Gegner hieß: Union Berlin. Inzwischen ist Fischers Mannschaft das eigene Ich ein wenig abhandengekommen. Es schnellstmöglich wiederzufinden ist nun das Ziel, ehe im Winter die Ressourcen vollständig aufgefüllt werden können.