Trainer Urs Fischer : Der Entwicklungshelfer bei Union Berlin
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Auch in dieser Saison gelingt es Urs Fischer, Union Berlin auf eine neue Stufe zu heben. Der besonnene Schweizer vermitteln den Fußballspielern Vertrauen, die zuvor im Schatten standen.
Wo soll man anfangen, wenn es darum geht, den 1. FC Union im Frühjahr 2022 zu erklären? Vielleicht am vergangenen Mittwoch: Da verloren die Berliner das Halbfinale im DFB-Pokal bei RB Leipzig. Nicht irgendwie, nicht beliebig, sondern durch ein Gegentor in sprichwörtlich letzter Sekunde. Aus war der Traum vom Finale in der eigenen Stadt, geplatzt durch einen Kopfball von Emil Forsberg in der zweiten Minute der Nachspielzeit.
Man muss kein besonders pessimistisch veranlagter Mensch sein, um zu behaupten, dass die Mehrheit der Berliner Spieler dem Pokalsieg wohl nie mehr so nah sein wird wie heuer im April. Sie hätten also mehr als einen guten Grund gehabt, emotional und sportlich in ein Loch zu fallen. Niemand hätte es ihnen verdenken können. Erst recht, da der Spielplan ihnen abverlangte, drei Tage später im Rahmen der Bundesliga an gleicher Stelle abermals anzutreten.
Wieder Leipzig, wieder bei RB. „Für viele Mannschaften ist es brutal schwer, aber wir sehen das als Herausforderung. Wir lieben solche Herausforderungen als Mannschaft. Wir haben schon im Vorfeld gesagt, wenn’s wer kann, dann wir“, sagte Christopher Trimmel. Am Mittwoch saß Unions Kapitän nach dem Abpfiff noch geknickt auf der Trainerbank, am Sonnabend strahlte er übers ganze Gesicht. Seine Mannschaft hatte gewonnen, 2:1, und den Leipzigern dabei einen kräftigen Schluck ihrer eigenen Medizin verabreicht.
Unions Tore fielen spät, beide in der Schlussphase, nachdem die Köpenicker zu Beginn der zweiten Halbzeit in Rückstand geraten waren. Yussuf Poulsen hatte getroffen. Dann kam Union. Sven Michel und Kevin Behrens drehten das Spiel. Beide waren von der Bank gekommen. „Wir erwähnen immer wieder, wie wichtig die Einwechselspieler sind, vor allem in solch einer Phase. Heute haben sie den Unterschied gemacht“, sagte Trimmel.
Wenn zwei Ersatzleute das Spiel entscheiden, richtet sich der Blick automatisch auf denjenigen, der sie aufs Feld geschickt hat. Urs Fischer wird seit dem Bundesliga-Aufstieg 2019 als Architekt des Berliner Erfolgs bejubelt. In Leipzig hatte er wieder die richtigen Ideen zur richtigen Zeit. „Das Trainerteam hat’s gut gemacht und uns aufs Spiel vorbereitet. Wir wussten, dass Leipzig auch ein bisschen rotiert, der Plan ist komplett aufgegangen“, sagte Trimmel.
In jedem Jahr gelang es Fischer bisher, seine Mannschaft weiterzuentwickeln. In diesem Winter stand er vor einer gewaltigen Aufgabe. Während der Wechselperiode verließen Marvin Friedrich und Max Kruse den 1. FC Union, beide enorm wichtige Stützen der Mannschaft. Friedrichs Kompromisslosigkeit und Kruses Spielverständnis waren nicht sofort zu ersetzen, Union durchlebte im Winter eine Schwächephase, von der einige glaubten, sie könnte zur neuen Normalität werden.
Wurde sie nicht, weil Fischer mit seiner besonnenen Art neuen Spielern das Vertrauen gab, die zuvor im Schatten von Friedrich und Kruse gestanden hatten. In der Abwehr kommt der junge Paul Jaeckel jetzt noch öfter zum Einsatz, und Kruses fehlende Geistesblitze kompensiert Fischer mit schierem Tempo.
Als Sturmspitze legte er sich auf den robusten, treffsicheren Taiwo Awoniyi und den noch schnelleren Sheraldo Becker fest. Beide harmonieren wie kein Berliner Duo seit dem Aufstieg. Verausgaben sich beide wie am Mittwoch oder nun am Sonnabend, bleiben Fischer genug Alternativen, in diesem Fall waren es Behrens und Michel. Letzterer war in der Winterpause aus Paderborn gekommen als Ersatz für Kruse.
Seine neuen Mitspieler lobte er nach dem Sieg überschwänglich. „Ich glaube nicht, dass viele Mannschaften, die am Mittwoch ein Spiel so knapp verlieren in der 92. Minute, dass die heute so gespielt hätten“, sagte Michel. „Ich bin so froh, ein Teil davon zu sein.“ Ein „bisschen Balsam für die Seele“ sei für sie alle der Sieg.
Abgesehen vom ideellen Wert, hatte der Erfolg auch einen rechnerischen, die drei Punkte sind enorm wichtig für die Europapokal-Hoffnungen des 1. FC Union. „Das neue Ziel ist ja, dass wir so lange wie möglich da oben bleiben wollen“, sagte Trimmel und gab dann noch einen Einblick in das Arbeitsethos der Mannschaft: „Wir werden jetzt auch keine zusätzlichen Tage frei geben, sondern wir bereiten uns auf das nächste Spiel vor“, sagte Trimmel. Besser lässt sich der 1. FC Union gegenwärtig nicht erklären.