Torsten Lieberknecht : Ein Trainer ohne Ablaufdatum
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„Wie vertrauen uns und lassen uns gegenseitig in Ruhe arbeiten“: Torsten Lieberknecht. Bild: dpa
Ein Job mit großer Fluktuation: Torsten Lieberknecht ist im zehnten Jahr Trainer in Braunschweig – und die große Ausnahme. Neben dem monatlichen Gehalt bekommt er etwas, das unbezahlbar ist.
Sie schauen ganz genau hin. Wann immer Torsten Lieberknecht das Podium betritt und auf einer Pressekonferenz erklären darf, warum Eintracht Braunschweig auch mal Rückschläge erleidet, sind seine Chefs nicht weit. Sportdirektor Marc Arnold will vor Ort wissen, wie Lieberknecht mit Druck umgeht. Auch Eintracht-Präsident Sebastian Ebel, der zur Pressekonferenz gerne mit Fanschal um den Hals erscheint, mischt sich oft unter die Zuhörer. Er möchte miterleben, ob der Cheftrainer Haltung bewahrt.
Lieberknecht ist ein Meister in dieser Disziplin. Druck? Ist ihm fremd. Angst vor dem Scheitern? Kein Thema für ihn. Lieberknecht ist im schnelllebigen Profifußball ein Phänomen. Er hält seinem Verein schon seit neun Jahren die Treue und sich selbst im Job. „Wir vertrauen uns und lassen uns gegenseitig in Ruhe arbeiten“, sagt der 43-Jährige über sich und seine Vorgesetzten.
„Wie bei guten Weinen“
Das lange Haltbarkeitsdatum von Lieberknecht, der mit Braunschweig an diesem Montag (20.15 Uhr / Live bei Sport1, Sky und im 2. Bundesliga-Ticker bei FAZ.NET) im Topspiel gegen Stuttgart antritt, ist nicht typisch für diese Branche. Gefühlt scheitern die Trainer immer schneller und immer früher. Wie es dazu kommen konnte, dass die Uhr in Braunschweig in dieser Hinsicht langsamer tickt als anderswo, erklärt ein Blick in das Miteinander auf der Führungsebene. Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt, Sportdirektor Arnold, Präsident Ebel und Lieberknecht agieren als eingespieltes Team. „Unsere erfolgreichen Jahre haben etwas Besonderes heranwachsen lassen. Und das kann auch Rückschläge verkraften“, erklärt Arnold. „Es scheint so wie bei guten Weinen zu sein – je länger, desto reifer“, ergänzt Voigt.
Drei höchst unterschiedliche Typen sind als Vorgesetzte für die Einschätzung zuständig, ob Lieberknecht der richtige Mann am richtigen Ort ist. Ihre Antwort lautet: ja. Neben dem monatlichen Gehalt lassen sie ihm etwas zukommen, das für Trainer unbezahlbar ist: Vertrauen. Neider werden einwenden: In der zweiten Liga weht der Wind nicht ganz so eiskalt wie in der ersten. Und Lieberknecht hat gut lachen, weil es mit ihm in Braunschweig meist aufwärtsgegangen ist.
Er will mit der Eintracht dorthin, wo der Druck durch den Verein, die Kritik der Medien und der Spott unzufriedener Fans noch größer sind. Nach der Entlassung von Roger Schmidt bei Bayer Leverkusen sind schon neun Erstligatrainer im Lauf der aktuellen Saison beurlaubt oder entlassen worden. Die Intervalle zwischen einem erfolglosen Übungsleiter und seinem Nachfolger werden kürzer. Eine Geschichte wie die von Lieberknecht wirkt mitten in dieser Aufgeregtheit wie ein Ausreißer und zu schön, um wahr zu sein.
Martin Kind: In 20 Jahren 16 Trainer verschlissen
Die Einsicht in den Chefetagen der Vereine, angesichts sportlicher Krisen zu schnell und oft unbedacht zu handeln, wächst spärlich. Aber sie kommt in Sicht. Martin Kind zum Beispiel, seit 20 Jahren als Präsident an der Spitze von Hannover 96, hat in seiner Amtszeit 16 Trainer und zehn Manager verschlissen, erst am Sonntag entließ er Sport-Geschäftsführer Martin Bader und ersetzte ihn durch Sportdirektor Horst Heldt. Der Blick zurück auf diese Bilanz fällt ihm schwer. In Ralf Rangnick, der inzwischen RB Leipzig zu einem Spitzenklub formt, ist unter Kinds Opfern ein heute anerkannter Könner. Auch Dieter Hecking, inzwischen bei Borussia Mönchengladbach unter Vertrag, gehört zu denen, die sich in Hannover abgenutzt haben.
Nach all den Jahren, Entlassungen und Abfindungen hat Kind für sich gelernt: Er achtet selbst bei mehreren Niederlagen in Folge nicht mehr vorrangig auf den externen Druck, sondern auf die inneren Werte. „Wenn die Mannschaft dem Trainer folgt, dann hat er längeres Vertrauen verdient“, findet der Boss von Hannover 96.
Die Frage nach den Alternativen
Für wie gut ein erfolgloser Chefcoach im Amt noch befunden wird, hängt oft davon ab, welche Alternative es zu ihm gibt. In die Szene ist viel Bewegung gekommen, weil die Angst eines Vereins vor einem Abstieg nicht mehr zwangsläufig dazu führt, dass erfahrene Trainer als Retter geholt werden. Dank der Einführung von Nachwuchsleistungszentren, deren Aufbau die Statuten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für alle Vereine der ersten und zweiten Liga seit 2002 vorschreibt, ist eine andere Generation aus spieltaktischen Vordenkern herangewachsen.