Stefan Kießling : Herr der Tore, Held der Arbeit
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Applaus, Applaus: Stefan Kießling und Bayer Leverkusen haben einen Lauf Bild: dpa
Der Leverkusener Stefan Kießling ist seit Jahren eine konstant torgefährliche Größe. Das will er auch gegen Düsseldorf (15.30 Uhr) beweisen. Bei Löw ist er kein Thema mehr für eine Nominierung. Das versteht nicht jeder.
Rudi Völler muss es wissen. Er war ein Angreifer von Weltklasse und weiß, wie Stürmer ticken. Der 52 Jahre alte Sportdirektor von Bayer Leverkusen kämpfte mit einer solchen Hingabe und Raffinesse im Zentrum der Offensive, dass ihn die Menschen liebten und mit „Ruuuudi“-
Sprechchören feierten. Auch in Leverkusen, wo der Weltmeister von 1990 nach zwei stürmischen Jahren und 26 Bundesligatoren für Bayer 1996 seine aktive Laufbahn beendete. Dieser Liebling der Deutschen, ob als Spieler, Teamchef oder Sportdirektor, hat ein Faible für Angreifer, die sich mit Fleiß, Leidenschaft und einer Portion Schlitzohrigkeit auf ihrem Weg zum Ziel voranarbeiten.
Darum holte er 2006 Stefan Kießling für rund fünf Millionen Euro vom 1. FC Nürnberg zu Bayer Leverkusen und bewies damit ein goldenes Händchen. Inzwischen nämlich ist Kießling wie der allerdings noch populärere Völler auch so etwas wie ein Symbol für das, was der Werksklub auch immer schon sein wollte.
Nicht nur - Stichwort Vizekusen - ein Synonym für künstlerisch wertvollen, aber nicht mit Titeln belohnten Fußball, sondern auch ein Markenbegriff für nimmermüden Kampfgeist und schnörkellose Zielstrebigkeit. „Stefan“, sagt Völler, „spielt mit Herzblut und gibt sich bis zur letzten Patrone aus. Er ist ein toller Junge auf dem Platz und außerhalb. Er lebt Fußball. So muss ein Profi sein.“
Dieses Lob von höchster Stelle ist nicht einmal übertrieben, auch wenn Kießling über sich selbst lieber in der Wir-Form spricht und damit das Bundesliga-Fußballkollektiv des Weltkonzerns weit über seine persönlichen Ansprüche stellt. Der 28 Jahre alte und 1,91 Meter lange Franke, in Lichtenfels bei Bamberg geboren, genießt den „Lauf“ seines Teams, das seit zehn Pflichtspielen unbesiegt ist, am vergangenen Sonntag den FC Bayern in München 2:1 bezwang (mit einem Kießling-Treffer zum 1:0) und in der Europa League ebenso erfolgreich auftritt wie im DFB-Pokalwettbewerb.
Vor dem rheinischen Derby zwischen dem Tabellenfünften und Aufsteiger Fortuna Düsseldorf an diesem Sonntagnachmittag (15.30 Uhr / Live im Bundesliga-Ticker bei FAZ.NET) beschreibt Kießling das Hoch über dem Bayer-Kreuz als Gemeinschaftswerk: „Im letzten und vorletzten Jahr hatten wir Spiele dabei, in denen wir früh das Gefühl hatten, das gewinnen wir nicht. Jetzt können wir ackern und auch schwierige Spiele über die Bühne bringen. Die komplette Leistung der Mannschaft stimmt im Augenblick.“
Und seine eigene allzumal. Schließlich ist der blonde Vormann der momentan treffsicherste Bundesligastürmer des Kalenderjahrs 2012 mit 19 Toren vor dem Schalker Klaas-Jan Huntelaar (17). Da verwundert es nicht, dass Völler, der frühere Teamchef des Deutschen Fußball-Bundes, seinen Paradeangreifer zur Nationalmannschaft zurück empfiehlt.
„Wenn Stefan weiter seine Leistung bringt, wird es für Joachim Löw immer schwieriger, an ihm vorbeizukommen.“ Das letzte seiner bisher nur sechs Länderspiele bestritt Kießling bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika, als er im Spiel um Platz drei gegen Uruguay (3:2) auch mal ran durfte. Seitdem war er, seit Jahren eine konstant torgefährliche Größe, bei Löw kein Thema mehr für eine Nominierung, obwohl der Bundestrainer zuletzt in Miroslav Klose nur einen gelernten Angreifer in sein Aufgebot berief.
Stefan Kießling will über seine Sehnsucht nach einer Karriere-Fortsetzung im Deutschland-Trikot am liebsten gar nicht sprechen. Und wenn, dann wie ein unabhängiger Profi ohne Strebermanieren. „Meine ehrliche Meinung ist: Wenn ich nicht dabei bin, bin ich froh, wenn ich zu Hause Zeit mit meiner Familie verbringen kann. Ansonsten mache ich mir darüber keinen großen Kopf. Wenn ich noch einmal nominiert werden sollte, würde es mich natürlich freuen.“
Papa Kießling, verheiratet und stolzer Vater eines vierjährigen Sohnes und einer im Oktober zur Welt gekommenen Tochter, ist kein Vortrommler in eigener Sache. Warum er seit Wochen so gut unterwegs und mit sechs Bundesligatoren in dieser Saison kaltschnäuzig vor des Gegners Tor ist, erklärt er so: „Bei mir ist das vor allem eine Frage der Fitness. Meine Spielweise ist sehr laufintensiv und mit vielen Zweikämpfen verbunden. Da müssen Kopf und Körper funktionieren.“
Apropos Kopf: Kießling hat fast die Hälfte seiner 92 Bundesligatore für Bayer per Kopfball erzielt und fast fünfzig Prozent seiner Kopfballduelle (Liga-Spitzenwert) gewonnen. Noch etwas zeichnet den unkomplizierten und uneitlen Sportsmann aus: seine Fähigkeit als Toröffner. In fünf Bundesligapartien dieser Saison schoss er das 1:0 für Bayer - auch diese Quote erreichte niemand sonst.
Der Hobby-Koch (“meine Spaghetti al Stefano sind legendär“) und bekennende Fan der Stadt, deren Menschen er mit seinen Toren berührt (“Leverkusen macht mich glücklich“), ist ein geradliniger, unverkrampfter, bodenständiger Typ, von Kopf bis Fuß auf Tore programmiert.
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Ein „Aushängeschild für Bayer“ sagt Markenbotschafter Völler über seinen Erben, der nach Ulf Kirsten (182 Tore), dem wohl unerreichbaren Schützenkönig, inzwischen die zweitmeisten Bundesligatreffer für Leverkusen geschossen und dazu zwischen 2007 und 2012 2567 Zweikämpfe - 500 mehr als jeder andere Erstligaspieler - geführt hat. Herr der Tore, Held der Arbeit: Wenn er so weitermacht, werden in Zukunft nicht nur Kießlings „Spaghetti al Stefano“ legendär sein, sondern auch der Koch selbst in seinem Hauptberuf Torjäger.