Life Kinetik : „Unser Ziel ist, das Gehirn der Spieler zu fordern“
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„Life Kinetik”: der Dortmunder Mats Hummels übt, Horst Lutz (l.) und Skifahrer Felix Neureuther schauen zu Bild: dpa
Mit „Life Kinetik“ will Horst Lutz die räumliche Wahrnehmung und Koordination von Fußballern verbessern. Dortmund und Hoffenheim nutzen seine Übungen. Im FAZ.NET-Interview spricht Lutz über Messi, Maradona - und die Probleme der Profis bei den Übungen.
Hinter dem Begriff „Life Kinetik“ verbirgt sich eine Trainingsmethode des Diplomsportlehrers Horst Lutz. Der Bayer arbeitet schon länger mit Spitzensportlern wie dem Skirennläufer Felix Neureuther zusammen und übt nun auch mit Fußballprofis aus der Bundesliga - von Borussia Dortmund und 1899 Hoffenheim. Unter der Schirmherrschaft des bayerischen Kultusministers fördert eine Stiftung die kostenlose Ausbildung von Lehrern, die „Gehirnjogging“ an Kinder und Erwachsene weitergeben sollen.
Trainieren Fußballprofis die falschen Körperteile?
Nein. Es geht um einen Zusatzbaustein des Trainings. Unser Ziel ist, durch bestimmte Bewegungsausführungen das Gehirn der Spieler so zu fordern, dass ihre räumliche Wahrnehmung und Koordination verbessert werden. Dies hilft, in bestimmten Situationen auf dem Platz flexibler und schneller zu handeln und aus einer Vielzahl von Möglichkeiten die richtige auszuwählen. Je mehr antrainierte Vernetzungen es im Gehirn gibt, desto höher ist die Leistungsfähigkeit.
Wie träge arbeiten denn die Gehirne der Fußballprofis? Wie sieht's mit der Körperbeherrschung aus?
Jeder Mensch hat erst mal seine liebe Not, wenn er Aufgaben bekommt, die er noch nie bewältigt hat. Eine Übung zum Beispiel ist, dass den Spielern jeweils ein Ball in jede Hand gegeben wird, welche sie dann parallel hochwerfen und mit gekreuzten Händen wieder auffangen sollen. Das klingt leicht, aber auch Sportprofis kriegen das am Anfang meistens nicht hin, bewegen die Hände zu früh über Kreuz und werfen die Bälle nicht mehr gerade hoch. Eine fußballspezifische Übung ist, den Ball mit dem rechten Fuß zu passen und dabei den linken Arm zu heben. Auch hier kommt es anfänglich zu komischen Szenen.
Sind Fußballprofis genauso ungeschickt wie Nichtsportler?
Die Ausgangssituation ist bei fast allen Menschen ähnlich. Fußballer haben aber schon ihre Stärken und kommen bei den Übungen schneller voran. Ich habe in der Bundesliga noch keinen Spieler kennengelernt, bei dem visuelle Wahrnehmung und Körperbeherrschung im Vergleich zum Schnitt der Bevölkerung schwach ausgeprägt waren. Es gibt welche, die in einem Teilbereich besonders schlecht, aber woanders besonders gut sind.
Sie sagen, das Training der Augen als wichtiges Sinnesorgan bei sportlicher Betätigung würde vernachlässigt.
Ja, das ist ein großer Fehler. Wenn zum Beispiel die sechs äußeren Augenmuskeln nicht richtig trainiert sind, machen die Augen Sprünge - man hat Schwierigkeiten, schnell bewegte Objekte wie Ball oder Gegner kontinuierlich zu verfolgen.
Wie werden die Augenmuskeln trainiert?
Die Spieler verfolgen mit den Augen Objekte, deren Geschwindigkeit variiert wird. Der Kopf darf sich dabei auch in kritischen Winkelbereichen nicht bewegen.
Das sind die muskulären Trainingsmöglichkeiten am Auge. Welche gibt es noch?
In einem anderen Bereich geht es um das Zusammenwirken der eingehenden Signale von den Augen über die Netzhaut hin zur Sehrinde im hinteren Gehirnareal. Dort werden für uns die Bilder erst sichtbar. Was vorne hereinkommt, ist bei fast allen Menschen gleich, was dann abgebildet wird, bei jedem anders. Es gibt Übungen, die einen Spieler zwingen, mehr von den äußeren Geschehnissen wahrzunehmen, damit er eine Aufgabe erledigen kann. Teilweise machen wir das mit verbundenen Augen, fördern den Vorgang an der Sehrinde, auf Basis von Erfahrungen und dem zuletzt Gesehenen Bilder zusammenzusetzen. Die Sehrinde wird gezwungen, noch mehr zu arbeiten.
Wo und wann hilft das in einem Fußballspiel?
Es hilft in schwierigen, komplexen Situationen. Wenn sich der Spieler zum Beispiel während einer Ecke im Strafraum bewegt, viele um ihn herumstehen und er sich in Sekundenbruchteilen - ohne lange nachzudenken - orientieren muss.
Laufen Fußballprofis im Training gerne mit verbundenen Augen über den Platz?
Entscheidend ist, dass das Training Spaß macht. Bei uns wird viel gelacht. Und wir trainieren nicht so lange, bis die jeweilige Übung beherrscht wird. Wenn ich merke, von zehn Versuchen klappen fünf, kommt schon die nächste Schwierigkeitsstufe. Ich möchte, dass die Bewegungsausführung im aktiven Denken verbleibt und nicht in tiefere Hirnschichten abgelegt wird. Das ist für viele eine große Herausforderung. Es werden viele Fehler gemacht, das sieht teilweise lustig aus. Aber es ist wie mit Schulkindern: Für einen guten Lerneffekt braucht es Spaß und besondere Herausforderungen.
Ist es den Profis nicht peinlich, wenn sie Schwächen zeigen?
Wir üben ja nicht in der Öffentlichkeit, sondern unter uns. Dann ist das für die Spieler kein Problem. Wenn sie sehen, dass alle anderen Mannschaftskollegen auch Schwierigkeiten haben mit den Übungen, können sie gemeinsam darüber lachen.
Wie oft wird trainiert?
In Dortmund einmal in der Woche eine Stunde - in Gruppen von acht oder zehn Spielern. Mehr als zweimal in der Woche zu üben bringt nichts nach unseren Erkenntnissen, weil das Gehirn ausreichend Zeit haben muss, das Gelernte nachzuarbeiten.
Was verstehen Sie unter dem Begriff der Spielintelligenz?
Jeder Spitzenfußballer muss im Vergleich zur Normalbevölkerung über eine unheimlich hohe körperliche Intelligenz verfügen, sonst wäre er nicht in der Lage, auf dem Platz in diesem Tempo so viele Aktionen wahrzunehmen und diese in geeignete Handlungen umzusetzen. Spieler wie Messi oder Maradona sind diesbezüglich wahre Intelligenzbestien. Es gibt Wissenschaftler, die fordern, den allgemeingültigen Intelligenzbegriff, der rein die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen betrachtet, um den der Bewegungsintelligenz zu erweitern. Also: Wie gut kann jemand beobachten? Wie kann er das Gesehene verarbeiten und in körperliche Handlungen umsetzen? Dazu fällt mir immer wieder das Maradona-Tor im WM-Viertelfinale von 1986 gegen England ein, als er im Maximaltempo mit Ball über den halben Platz sprintet, mehrere Gegenspieler ausspielt und vor dem Torschuss aus der Bedrängnis heraus ganz komische Bewegungen macht, die er niemals erlernt haben kann. Dafür brauche ich eine irrsinnige Bewegungsintelligenz.