Leon Andreasen : Die Rückkehr des Kriegers
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Das ist ihm zu wenig. In Hannover bietet sich im Januar 2009 eine bessere Perspektive. Wenn Andreasen heute über die 28 Monate lange Quälerei zwischen April 2010 und August 2012 spricht, klingt das wie eine gnadenlose Selbstanklage. „Ich bereue, so lange mit Schmerzen gespielt zu haben. Hätte ich nur besser auf meinen Körper gehört! Ich bereue, so oft umsonst aufgeschnitten worden zu sein.“
Andreasen ist ein Krieger auf dem Feld, kein Sensibelchen, das tagtäglich auf Tuchfühlung zur eigenen Befindlichkeit geht. Die malade Leiste ignoriert er so lange wie möglich, obwohl sie das ganze Jahr 2009 zwickt, mal mehr, mal weniger. Mit halber Kraft versucht er, ein ganzer Kerl zu sein. Erst ein erlittenes Foul beim 0:0 in Hamburg Ostern 2010 fällt ihn. „Ich hatte schon sechs Wochen lang mit Schmerzen gespielt, es war ja Abstiegskampf“, sagt er, „aber nach diesem Foul war etwas oben in der Leiste anders. Schlimmer.“
Ärzte werden konsultiert, Operationen sollen helfen. „Wenn mir ein Arzt sagte: In drei Monaten bist du wieder fit, habe ich gesagt: Los, schneid mich auf.“ Doch so einfach ist es nicht. Die Leiste schmerzt trotz unterschiedlichster Behandlungsmethoden. Wohl 20 Mal habe er sein Comeback vorbereitet, schätzt Andreasen. Im Frühjahr 2011 setzt er alles auf eine Karte, macht sich allein sechs Wochen fit fürs erste Mannschaftstraining der neuen Saison, ist guten Mutes. „Nach 15 Minuten mit der Mannschaft war ich total kaputt.“ Trainer Slomka nimmt ihn wieder aus dem Betrieb. Andreasen mag nicht mehr hinsehen. Er bleibt dem Stadion fern. Sieht die Spiele zu Hause mit seiner Verlobten Annabelle.
Des Rätsels Lösung
Zeitlich in etwa hier, im Spätsommer 2011, kommen die Kopenhagener Mediziner Claus Hovgård und Thomas Jørgensen ins Spiel. Sie haben von Andreasens Leid gehört und eine simple Idee. Sie kontaktieren ihn. Andreasen willigt ein, zieht zu einem alten Kumpel in die Hauptstadt. Sie beginnen mit Bewegungsschule. „Wir haben seinen gesamten Bewegungsablauf korrigiert“, sagt Jørgensen, „von den Zehen über die Knie bis zur Leiste.“ Andreasen ist jetzt jeden Tag mehrere Stunden bei ihnen. Es wird besser, aber nicht gut. Die beiden Ärzte überzeugen den Widerspenstigen von der Notwendigkeit einer weiteren OP.
Unter Vollnarkose tragen sie im September 2011 zentimeterlanges Narbengewebe von der gepeinigten Leiste ab. Das ist des Rätsels Lösung: Narbengewebe hat auf die Nerven im Muskel gedrückt und fortwährende Schmerzen ausgelöst. Andreasen sagt: „Ich habe gleich nach dem Aufwachen gemerkt, dass etwas anders ist. Ich hatte plötzlich Power im Bein.“ Entgegen seiner Gewohnheit lernt er nun Demut, Bescheidenheit, Geduld. Bloß nichts überstürzen. Im Winter 2011/2012 fühlt er sich blendend. Trainiert neun Kilo Übergewicht ab, steigt bei den Amateuren ein. Von April an trainiert er mit voller Kraft bei den Profis. Nach den Sommerferien ist er Stammspieler, an diesem Sonntag (17.30 Uhr / Live im Bundesliga-Ticker bei FAZ.NET) spielt er mit 96 bei 1899 Hoffenheim.
Vielleicht ist es noch etwas zu früh, um eine Wesensveränderung festzustellen, doch Andreasen wirkt weniger aufbrausend, auch auf dem Platz. Er will Annabelle im nächsten Sommer heiraten, der achtzehn Monate alte Sohn Luis komplettiert inzwischen die Familie. Andreasen will nicht mehr so viel sagen, er muss es auch nicht, denn sein größtes sportliches Glück lässt sich kurz zusammenfassen: „Ich bin einfach froh, dass nichts mehr weh tut.“