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Hamburger SV : Der Verein im Netz des Milliardärs

Ratlos: HSV-Spieler und Trainer nach der Heim-Niederlage gegen Leipzig Bild: dpa

Mäzen Kühne regiert im Hintergrund, Vorstandsvorsitzender Beiersdorfer buckelt, Privatier Calmund vermittelt, Spielerberater Struth beobachtet - und HSV-Trainer Labbadia hat vor dem Spiel gegen die Bayern keine Lobby mehr.

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          Anruf bei Reiner Calmund, dem ehemaligen Fußballmanager von Bayer Leverkusen und Freund von Klaus-Michael Kühne, dem mächtigen Investor beim Hamburger SV. Beide haben mehrere Kreuzfahrten zusammen erlebt, kurz vor Weihnachten 2015 waren sie zum Beispiel von Dubai nach Singapur unterwegs und entwickelten irgendwo auf dem Indischen Ozean zusammen die Idee des neuen HSV.

          Michael Wittershagen
          Zuständig für den Sport in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          „Die Misserfolge machten ihm wirklich zu schaffen. Deshalb wollte er in neue Spieler investieren und hat mich gefragt, ob ich ihn da beraten könne“, erzählt Calmund. „Ich habe ihm gesagt: Ich bin zu lange raus aus dem Geschäft, ich kenne mich aus, aber nicht mehr im Detail – aber mein Netzwerk ist top. Mein Freund Volker Struth kann Ihnen helfen, der ist einer der besten Spielerberater, der kennt alle Vereine, hat große Spieler unter Vertrag, Kroos, Götze, Reus, Höwedes – die gehen sowieso nie zum HSV, egal, was der Verein bietet. Da gibt es also keinen Interessenkonflikt. Herr Kühne fand die Idee sehr gut, er kommt genau wie die aktuelle Vereinsführung um Didi Beiersdorfer mit Struth sehr gut aus.“

          Offiziell geht es um die Finanzen

          Donnerstagnachmittag in Hamburg, die Hafencity, ein schmuckes Gebäude mit einer Fassade aus Glas. Dorthin, in die Unternehmenszentrale seines Logistikimperiums, hat Kühne geladen, und Dietmar Beiersdorfer, der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV, ist gekommen. Seit Monaten soll dieses Treffen terminiert sein, offiziell geht es um die Finanzen des Klubs – aber können sich der Mäzen und HSV-Fan Kühne und Beiersdorfer in diesen Tagen treffen, ohne über den Trainer zu sprechen? Darüber, ob Bruno Labbadia nach drei Niederlagen an den ersten vier Spieltagen der neuen Fußball-Bundesliga-Saison noch der Richtige ist?

          Das Volksparkstadion ist etwa zehn Kilometer entfernt, dort sitzt Labbadia und soll Antworten geben. An diesem Samstag kommt der FC Bayern München (15.30 Uhr / live auf Sky und im Bundesligaticker auf FAZ.NET), es ist so etwas wie ein Schicksalsspiel für den Fünfzigjährigen. „Ich bin komplett bei mir selbst“, beteuert Labbadia. „Ich versuche, auf die Dinge einzuwirken, auf die ich einwirken kann.“ Hat Labbadia überhaupt noch eine Chance?

          Vermögend: Mäzen Klaus-Michael Kühne
          Vermögend: Mäzen Klaus-Michael Kühne : Bild: dpa

          Um ihn herum jedenfalls hat sich ein Netz gesponnen, das auf Außenstehende ziemlich undurchsichtig wirkt. Spielerberater Struth soll mit seiner Agentur Sports-Total beispielsweise den Transfer von Alen Halilović miteingefädelt haben. Der 20 Jahre alte Kroate wurde in diesem Sommer für rund fünf Millionen Euro vom FC Barcelona verpflichtet. Halilović gilt als Supertalent, er hat technische Fähigkeiten wie nur wenige andere im Kader des HSV, kam unter Labbadia bisher aber nur zu Kurzeinsätzen. Eine Entscheidung, die von vielen als Machtdemonstration gedeutet wird. Der Trainer wolle offenbar zeigen, dass er das Sagen hat – und sonst keiner. Es wäre ein gefährliches Spiel, denn Halilović kann trotz seiner Schwächen in der Defensive den Unterschied in einem Spiel ausmachen, das hat er als Einwechselspieler mit seinem Tor zum 1:0 in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen Zwickau bewiesen.

          Rückblick, der 2. Juni 2015. Es ist halb sechs am Morgen, die meisten Nachtschwärmer sind längst wieder zu Hause, Labbadia und Beiersdorfer aber sitzen noch immer in der Kneipe „Erika’s Eck“ im Schanzenviertel und stoßen auf den Klassenverbleib an. Wenige Stunden zuvor war die Mannschaft aus Karlsruhe zurückgekommen, wo das Team erst in der Verlängerung der Relegation den Abstieg verhindern konnte. Beiersdorfer ließ sich im Rausch der Gefühle zu Aussagen wie dieser hinreißen: „Das Denkmal für Bruno baue ich mit eigenen Händen.“ Erst Mitte April hatte Labbadia den Klub übernommen, nur wenige hatten ihm die Rettung des Bundesliga-Traditionsklubs damals noch zugetraut.

          Das Denkmal für ihn allerdings steht noch immer nicht, und aus dem starken Vorstandsvorsitzenden Beiersdorfer, als der er im Juli 2014 präsentiert worden war, ist ein Mann geworden, der immer einsilbiger antwortet und spürbar in die Defensive gedrängt worden ist. Sein Handlungsspielraum ist begrenzt, er ist abhängig von dem, was Milliardär Kühne mit seinen Millionen machen will. Der Neunundsiebzigjährige kann sein Veto aussprechen für solche Profis, denen er oder sein Beraterstab nicht genug zutraut. Der Hamburger SV könnte einen solchen Transfer zwar trotzdem tätigen – allerdings fehlt dem Verein bei rund neunzig Millionen Euro Verbindlichkeiten dafür das nötige Kapital. Ein Teufelskreis, aus dem alle Beteiligten so schnell nicht mehr herauskommen.

          Investor Kühne besitzt inzwischen elf Prozent des Klubs, er hat die Namensrechte am Stadion zurückgekauft und es wieder Volksparkstadion genannt, allein im vergangenen Sommer hat er rund dreißig Millionen Euro gegeben, damit Spieler wie Kostic, Halilović, Wood und Douglas Santos verpflichtet werden konnten. Und er will weiter investieren, von etwa 100 Millionen Euro in den nächsten zwei oder drei Transfersommern ist die Rede. Kühne ist längst kein Edelfan mehr, er ist so etwas wie der Schattenvorsitzende dieses Vereins. Und er hat sich ein Schattenkabinett aufgebaut, das bis in den Verein hinein verzweigt ist. Karl Gernandt ist Präsident des Verwaltungsrates bei „Kühne + Nagel“, er ist ein enger Vertrauter von Kühne – und soll den HSV als Aufsichtsratschef kontrollieren.

          Verzweifelt: Trainer Bruno Labbadia
          Verzweifelt: Trainer Bruno Labbadia : Bild: dpa

          Frage an Calmund: „Es entsteht der Eindruck, dass auch Sie Herrn Kühne beraten und im Hintergrund mitentscheiden beim HSV. Ist das richtig?“ Calmund sagt: „Beim HSV mische ich definitiv nicht mit. Ich stehe weder auf der Gehaltsliste von Herrn Kühne noch auf der des Vereins. Ich habe nicht einmal eine Briefmarke abgerechnet.“

          „Und welchen Einfluss hat Herr Kühne?“

          Die Antwort von Calmund: „Er darf allein aus vereins- und kapitalrechtlichen Gründen keine Verträge unterzeichnen. Natürlich ist Herr Kühne ein emotionaler Erfolgsmensch und wird so auch weiter Hoffnungen auf bessere Plazierungen und Enttäuschungen über verlorene Spiele äußern. Warum auch nicht, das darf doch auch jeder Fan. Dann wird es einer der größten Geldgeber auch dürfen.“

          „Sind Sie der Meinung, dass Herr Kühne falsch wahrgenommen wird?“

          Calmund spricht nun merklich lauter, seine Stimme bebt beinahe: „Er hat doch dem HSV erst die Lizenz gerettet, die Namensrechte am Stadion gesichert, einige Spieler finanziert – und bekommt trotzdem einiges vor die Fresse. Können Sie das verstehen? Ohne Herrn Kühne würde der HSV doch längst nicht mehr in der Bundesliga spielen. Deshalb habe ich ihm auch empfohlen, lediglich die fünf Millionen für Nachwuchs und Scouting zu zahlen, weil er damit aus jeglicher Transferpolitik raus gewesen wäre.“

          Vernetzt: Kühne-Freund Reiner Calmund
          Vernetzt: Kühne-Freund Reiner Calmund : Bild: Imago

          Erst in diesem Sommer hat die Deutsche Fußball Liga (DFL) das Engagement von Kühne nochmals geprüft und sah darin keinen Verstoß gegen die 50+1-Regelung, mit der verhindert werden soll, dass sich Außenstehende in das operative Geschäft eines Profivereins einmischen. Darum geht es, wenn Calmund nun von „vereins- und kapitalrechtlichen Gründen“ spricht. Die Unterschrift unter Verträge muss weiterhin Beiersdorfer setzen. Das neue Machtzentrum des HSV aber ist der Zweiundfünfzigjährige schon lange nicht mehr. Dazu passt, dass die Transferpolitik des Sommers unter anderem bei einem Treffen im Mai auf Mallorca bestimmt wurde, bei einem Treffen von Kühne, Gernandt, Struth und Beiersdorfer. Labbadia, der Trainer, war nicht dabei.

          In Hamburg gibt es die Geschichte, dass Spielerberater und Calmund-Freund Struth seit einiger Zeit sogar Beobachter zum Training schickt, um die Arbeit von Labbadia kontrollieren zu lassen. Geldgeber Kühne will offenbar ganz genau wissen, was mit seinen Millionen passiert. Anfang September sagte er der „Ostsee-Zeitung“: „Der HSV wird nach der Saison wohl irgendwo zwischen Platz sechs und acht landen.“ Und weiter: „Abwarten, ob der Trainer das Team in Form bringen kann.“ Zwei Sätze, nicht mehr – und trotzdem war die Drucksituation für Labbadia danach eine andere.

          Launen und Vorstellungen des Milliardärs

          Er wäre nicht der Erste beim HSV, der zuletzt den Launen und Vorstellungen des Milliardärs zum Opfer gefallen ist. Sportchef Oliver Kreuzer nannte er einen „Drittligamanager“, und auch bei der Entlassung von dessen Nachfolger Peter Knäbel war Kühne offenbar nicht unbeteiligt. Knäbel galt als ruhiger Vertreter seiner Zunft, aber er hatte eine klare Fußball-Idee, und er war ein Vertrauter von Trainer Labbadia. Nachdem nun auch Beiersdorfer öffentlich vom Trainer abgerückt ist, steht der Retter von einst ziemlich allein da. Zumindest öffentlich mag er sich nicht darüber beschweren, in dieser Hinsicht hat Labbadia dazugelernt. Und er hat seinen Humor noch immer nicht verloren. „Ich habe mir das Spiel der Bayern gegen Hertha (3:0) angeschaut. Ich muss sagen: Das ist keine schlechte Mannschaft“, sagt er. „Die kleine Chance, die da ist, wollen wir nutzen.“ Es dürfte seine letzte sein als Trainer des HSV.

          Calmund will so oder so wieder von der HSV-Bildfläche verschwinden. Er verabschiedet sich mit diesen Worten: „Das ist jetzt endgültig meine letzte Aussage über den HSV. Ich hoffe, dass dies dann auch der letzte kapiert. Freunde, das war es dann.“ Kühne und Struth erwähnte er nicht in diesem Zusammenhang.

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