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Hamburger Fußballklub : Der FC St. Pauli kämpft ums Überleben

  • -Aktualisiert am

Sehen sie bald nur noch Schwarz? Der FC St. Pauli hat zu kämpfen. Bild: Imago

Eine unbequeme Nummer: Der FC St. Pauli ist anders, was dem stromlinienförmigen Fußball guttun könnte – doch der Verein ist angezählt und steht vor einer ungewissen Zukunft. Was ist nur los?

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          Das neue Trikot des FC St. Pauli für die Saison 2021/22 wird aus 100 Prozent recyceltem und sortenreinem Polyester produziert werden. „Die langjährige Partnerschaft mit den Herstellern in der Türkei und eine unabhängige Kontrolle der dortigen Fabriken garantieren faire Arbeitsbedingungen für die Arbeiter*innen“, schreibt der FC. Im Kragen des neuen Jerseys ist der Schriftzug „Kein Fußball den Faschisten“ eingestickt.

          Der FC St. Pauli wird seine Trikots fortan also nicht von großen Ausrüstern fertigen lassen, sondern sorgt selbst für die Herstellung – nachhaltig natürlich. Und mit 69,90 Euro wird das Shirt auch ziemlich günstig sein. „Wir möchten mit dem FC St. Pauli den Weg der Unabhängigkeit weiter konsequent gehen und setzen darauf, dass sich der unternehmerische Mut auszahlt, auch in der Krise Dinge anders und besser zu machen“, hat Oke Göttlich gesagt, der Präsident des Zweitligaklubs.

          Man kann ihn und den Verein nur loben für diese Courage. Und so ungerecht es auch ist, die Produktionsbedingungen des neuen Jerseys gegen die aktuelle sportliche Situation zu schneiden, so klar wird es Göttlich gewesen sein, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Fans und Mitglieder gedacht haben mag: „Können die nicht einfach besser Fußball spielen, statt sich jetzt auch noch um die Trikots zu kümmern?“

          Wäre das Kerngeschäft nicht

          Vorletzter ist der FC St. Pauli vor dem letzten Spiel des Jahres 2020 an diesem Sonntag (13.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur 2. Bundesliga sowie bei Sky) gegen Fortuna Düsseldorf. Damit reiht sich die aktuelle Mannschaft mit dem neuen Trainer Timo Schultz ein in Teams und Coaches vergangener Jahre: Die Rahmenbedingungen beim Klub vom Hamburger Kiez sind finanziell und infrastrukturell gut bis sehr gut – auch wenn der FC im abgelaufenen Geschäftsjahr zum ersten Mal seit neun Jahren coronabedingt ein Minus gemacht hat. Immer noch liegt das Eigenkapital mit 13,5 Millionen Euro in einer Höhe, von der andere Klubs des Unterhauses nur träumen. Wäre da nicht das Kerngeschäft!

          Vieles macht der Klub richtig, setzt sich ein, mischt mit, nervt, erhebt Widerspruch – auch im Kleinen, wie zuletzt, als St. Pauli nicht mit dem schwarzen Trauerflor zu Ehren des verstorbenen Diego Maradona auflief. Diese besondere Form der Ehrung sei Menschen aus dem Verein oder dem nahen Umfeld vorbehalten. Petitessen, die zeigen, wie intensiv man sich beim FC St. Pauli mit vielen Dingen auseinandersetzt.

          Wäre dem Klub mal eine Überraschung gelungen wie sie die Erstliga-Aufsteiger Fürth, Paderborn, Braunschweig oder Union Berlin schafften, bekäme St.Pauli ein ganz anderes Podium für seine Botschaften. Dem stromlinienförmigen Profifußball wäre das zu wünschen. Doch daran, diesmal eine schlagkräftige Mannschaft aufzustellen, sind Sportchef Andreas Bornemann und Trainer Schultz bislang gescheitert – wieder geht es gegen den Niedergang, wieder verblüfft die Auswärtsschwäche, fragt man sich, warum die sportlich Verantwortlichen auf dem Transfermarkt so oft danebengreifen.

          Am Boden: James Lawrence hat mit Pauli lange nicht mehr gewonnen.
          Am Boden: James Lawrence hat mit Pauli lange nicht mehr gewonnen. : Bild: WITTERS

          Den entscheidenden Missstand hatte Schultz’ Vorgänger Jos Luhukay dabei schon vor mehr als einem Jahr angeprangert: Beim FC sei zu viel Bequemlichkeit, keine leistungsfördernde Atmosphäre. Hätte der erfahrene Niederländer „das Skalpell statt die Machete genutzt“, wäre er womöglich noch da, schrieb der „Kicker“. Luhukay hatte eine funktionierende Achse gefordert, weil er sie in Torwart Robin Himmelmann, den Verteidigern Ziereis und Avevor sowie Mittelfeldspieler Knoll nicht sah. Luhukays Erkenntnis war richtig. Der Weg, am liebsten alle vier auf einmal wegzuschicken, falsch. Der ehrliche, aber unbequeme Niederländer musste am Saisonende gehen.

          Der neue Trainer, ein Mann aus den eigenen Reihen, hat die gleichen Korsettstangen – insofern konnte es nicht viel besser werden. Dabei machte der neue Kader mit den jungen Aufsteigern Finn-Ole Becker, Rodrigo Zalazar und Daniel-Kofi Kyereh bis nach dem 2:2 im Derby Spaß. Bornemann hatte auf Phantasie gesetzt beim Kaderumbau. Man wollte wieder etwas anders machen beim FC, aus der guten Nachwuchsarbeit schöpfen, von der eigenen Trainerausbildung profitieren. Doch seit dem packenden Spiel beim HSV holte St. Pauli nur einen Punkt aus fünf Spielen.

          So zieht die nächste Saison vorbei, in der der FC St.Pauli unter seinen Möglichkeiten bleibt. Zuletzt 2015/16 schnupperte der Verein mit Trainer Ewald Lienen an den Aufstiegsplätzen und wurde Vierter. Nach Lienen versuchten sich seit 2017 vier Coaches am FC; Olaf Janßen, Markus Kauczinski, Jos Luhukay, nun Schultz. Die attraktiven Plätze blieben und bleiben außerhalb der Reichweite. Dass es für den FC St. Pauli in dieser Spielzeit nur noch darum geht, in der Liga zu bleiben, ist nicht nur für die vielen Fans der Braun-Weißen eine schlechte Nachricht. Sondern für den ganzen deutschen Fußball.

          Würzburg gegen St. Pauli am 6. Januar

          Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat die nach einem Corona-Fall abgesagte Zweitliga-Partie der Würzburger Kickers gegen den FC St. Pauli auf Mittwoch, 6. Januar 2021 (20.30 Uhr), verlegt. Die Begegnung konnte am vergangenen Mittwoch nicht stattfinden, weil das Gesundheitsamt Würzburg angeordnet hatte, dass sich ein großer Teil des Kaders der Kickers nach einem Covid-19-Fall im Funktionsteam des Tabellenletzten in häusliche Quarantäne begeben musste. (dpa)

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