
Fußball-Bundesliga : Fergie-Time auf deutsch
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Gegen Freiburg zieht Rot sich schneller: Wer einen Diagne vom Platz stellt, muss keine Angst vor Ärger haben, selbst wenn es sich als Fehler erweisen sollte Bild: dpa
Jeder Schiedsrichter wird es abstreiten, viele Trainer oder Spieler bestätigen: in der Bundesliga gibt es ein Entscheidungsgefälle, das sich der Tabelle anpasst. Im Zweifel für die Großen.
Sechs bis sieben Punkte Abstand zu Platz vier: Noch nie hatte die Bundesliga ein Führungstrio, das so früh so weit enteilt ist. Und das nicht nur in der Tabelle, auch in der Hackordnung. Einige Szenen vom Samstag gaben einem alten Verdacht neue Nahrung: im Zweifel für den Größeren. Bei jedem der drei Favoriten-Heimsiege gab es Entscheidungen, die den Lauf des Spieles, unabhängig von der Höhe des späteren Ergebnisses, deutlich beeinflussten. Alle fielen zugunsten der Großen.
Am wenigsten spielentscheidend war der Platzverweis gegen den Freiburger Diagne - auch wenn es da erst 1:0 für Dortmund stand. Es war eine Rote Karte, wie sie ein Freiburger nun mal bekommt, aber kein Dortmunder oder Münchner. Ist es vorstellbar, dass für diese Aktion ein Hummels oder Lahm vom Platz müsste? Auch weiß niemand, ob Hannover beim 0:2 in Leverkusen noch etwas hätte bewegen können, wäre nach Hilberts Handspiel der fällige Elfmeter gekommen.
Am deutlichsten war der Einfluss der Spielleitung auf das Resultat beim 1:0 der Bayern gegen Wolfsburg. Schweinsteiger sah für den Schlag in Diegos Nacken nur Gelb, Rafinhas Hakeln gegen Schäfer blieb ungestraft. Wäre die Entscheidung im ersten Fall anders ausgefallen, es hätte für die Bayern mehr als eine Stunde Unterzahl bedeutet - und im zweiten Fall wohl einen Rückstand.
Es wäre vermessen, allein aus diesen Momentaufnahmen eine Tendenz abzuleiten. Und doch wird über die Jahre ein Ungleichgewicht spürbar. Jeder Schiedsrichter wird es abstreiten, viele Trainer oder Spieler werden es aber still bestätigen: jenes Entscheidungsgefälle, das sich der Tabelle anpasst. Die Höhe der Hemmschwelle für gravierende Pfiffe steigt und sinkt mit der Größe eines Klubs, dem Ansehen eines Trainers, dem Ruhm eines Spielers.
Klagen von Benachteiligten sind selten
Das ist menschlich, es geschieht unbewusst. Wer einen Diagne vom Platz stellt, muss keine Angst vor Ärger haben, selbst wenn es sich als Fehler erweisen sollte. „Wir sind klein“, sagte Trainer Christian Streich letzte Saison. Wer aber vor der Frage steht, ob er einem Schweinsteiger Rot zeigt, weiß, dass er unumstößlich richtig liegen muss. Denn hinter dem, über den er urteilt, stehen die großen Bayern. Dennoch sind Klagen von Benachteiligten selten. Sie machen unbeliebt. So wollte auch der Wolfsburger Manager Klaus Allofs bei allem Schimpfen über die Entscheidungen des Tages nicht die Realitäten der Branche antasten: „Das ist der kleine Unterschied. Das haben die Bayern sich erarbeitet.“
In England hat man die unbewusste Vorzugsbehandlung sogar messen können: die „Fergie Time“, jene Zeitzugabe, die Manchester United bekommt, wenn es nach neunzig Minuten noch ein Tor braucht. Im Schnitt der letzten drei Spielzeiten war sie 79 Sekunden lang. Lag United hinten, betrug die durchschnittliche Nachspielzeit 4:37 Minuten, lag man vorn, nur 3:18. Trainerkollege Harry Redknapp erklärte es damit, dass die Schiedsrichter vor Alex Ferguson „Angst hatten“.
Die deutschen Spitzenteams brauchen solche Gunstzuweisungen schon lange nicht mehr, um sich vom Rest der Liga abzusetzen. Da wäre es kein schlechtes Zeichen, wenn zur Abwechslung auch mal wieder eine Entscheidung nach anderer Art fiele: Im Zweifel für den Kleineren.