Gewalt im Fußball : „Das sind mittlerweile kriegsähnliche Zustände“
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Zwei, die sich streiten: Frankfurts David Abraham (links) und Freiburgs Christian Günter Bild: dpa
Kritik an fehlendem Respekt, Rufe nach harten Strafen und der Fall Abraham – die Diskussion um die Verrohung der Sitten auf dem Fußballplatz hält auch in der Länderspielpause an.
Im Haus des Sports flimmert die Botschaft über die großen Flachbildschirme im Foyer. „Mehr Respekt für Schiedsrichter/innen“ – so lautet die Aufforderung an die Gäste, die den Sitz des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Frankfurt/Main besuchen. Ob der Ruf nach Fairness tatsächlich gehört wird, scheint fraglich. Nach Ansicht des früheren Fifa-Referees Thorsten Kinhöfer ist der Appell in den Fußballstadien weitgehend ungehört verhallt.
„Wir haben eine unfassbare Aggression auf dem Platz“, sagte der 51-Jährige vor dem Hintergrund des Falls um David Abraham der Bild-Zeitung: „Das sind mittlerweile kriegsähnliche Zustände. Ich frage mich immer, was die genommen haben, um so von null auf 100 zu kommen.“ Nach Ansicht Kinhöfers müsse man sich bei diesen „Vorbildern“ nicht wundern, „dass im Amateurfußball Woche für Woche Schiedsrichter beleidigt, bedroht und verprügelt werden“.
DFB berät über Problem
Genau darum wird es am Wochenende gehen, wenn die zuständigen Vertreter der Landesverbände bei einer Konferenz des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Frankfurt/Main die Köpfe zusammenstecken. Im Vorfeld wurden vonseiten der Politik bereits lebenslange Sperren für die Täter ins Gespräch gebracht. Fanforscher Gunter A. Pilz lehnt dies jedoch ab. Diese seien sowohl juristisch nicht möglich als auch nicht zielführend.
„Es müssen Strafen sein, bei denen sie dazu angehalten werden, ihr Handeln kritisch zu hinterfragen“, sagte der Vorsitzende des Netzwerkes „Sport und Politik für Fairness, Respekt und Menschenwürde“ am Rande einer Fachkonferenz in Frankfurt/Main. Den Sport sieht Pilz im Kampf gegen Gewalt als wichtigen Akteur, jedoch könne er die Probleme der Gesellschaft nicht alleine lösen.
Was Pilz unter dem richtigen Umgang mit Tätern versteht, skizzierte er an einem Beispiel. In Niedersachsen musste ein Spieler, der einen Unparteiischen tätlich angegriffen hatte, einen Schiedsrichter-Lehrgang absolvieren und mindestens drei Spiele leiten. Im Gegenzug wurde seine Sperre halbiert. „Er hat sich danach nichts mehr zuschulden kommen lassen, aber was noch viel wichtiger war: Wann immer seine Mitspieler auf den Schiedsrichter losgegangen sind, hat er sich sofort dazwischen gestellt“, betonte Pilz.
Als Grund für das teilweise respektlose Verhalten gegenüber den Schiedsrichtern sieht Pilz allerdings wie Kinhöfer das mangelnde Verantwortungsbewusstsein des Profisports. „Wer das Verhalten der Trainer und Spieler teilweise mitkriegt, denkt sich, es gehört zum guten Ton, dass man die Schiedsrichter grenzenlos anpöbeln kann. Das wirkt sich natürlich aus“, sagte Pilz.
Signalwirkung mit Blick auf die Vorbildfunktion der Profis könnte das haben, was sich schon bald wenige Meter entfernt vom DOSB-Sitz abspielen wird. Durch den Einspruch des Bundesligaklubs Eintracht Frankfurt gegen die lange Sperre von Kapitän Abraham wird der Fall vor dem Sportgericht in der DFB-Zentrale verhandelt.
Die Verhandlung gegen Abraham, der für seinen Check gegen Trainer Christian Streich vom Ligarivalen SC Freiburg am Ende des Spiels im Breisgau am Sonntag (0:1) bis zum Jahresende gesperrt wurde, wird zeigen, ob der Profifußball die Zeichen der Zeit erkannt – oder ob es nur darum gehen wird, möglichst spitzfindig die Strafe für einen Akteur des Millionenspiels Profifußball abzumildern.