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Cordoba-Inszenierung : Und wieder wurden sie narrisch

Das Hütteldorfer „Wunder von Cordoba”: Massimo Furlan überzeugt mit seiner Interpretation des größen österreichischen Fußballsiegs der Nachkriegszeit

Das Hütteldorfer „Wunder von Cordoba”: Massimo Furlan überzeugt mit seiner Interpretation des größen österreichischen Fußballsiegs der Nachkriegszeit Bild: picture-alliance/ dpa

Der Schweizer Künstler Massimo Furlan hat in Wien Österreichs wichtigstes Fußballmatch noch einmal ganz alleine nachgespielt: Er ist der Mittelstürmer Hans Krankl beim 3:2-Sieg gegen Deutschland bei der Weltmeisterschaft 1978 im argentinischen Cordoba.

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          Seit geraumer Zeit und wegen des wachsenden Erfolgs auch in immer kürzeren Abständen erfüllt sich der jetzt 42 Jahre alte Schweizer Regisseur, Schauspieler und Choreograph Massimo Furlan den allerschönsten Traum seiner Kindheit: einmal ein ganz Großer des Weltfußballs zu sein. „Furlan/Nummer 23“ lautete 2002 der Titel seiner Premierenvorstellung. Im Stadion seiner Heimatstadt Lausanne rannte er im Trikot der italienischen Nationalmannschaft, deren Fan er ist, neunzig Minuten lang mutterseelenallein über den Rasen, rackerte sich ab, um Tore, möglichst goldene Tore zu schießen, gestikulierte mit seinen imaginären Mitspielern, beschimpfte den nicht anwesenden Schiedsrichter, haderte mit sich und dem Schicksal, legte wie jeder große Star die eine oder andere Kunstpause ein - am liebsten jedoch präsentierte er sich in der Jubelpose des glanzvollen Vollstreckers. Und all dies ganz ohne das Objekt seiner Begierde und seiner Leidenschaft: den Ball.

          Jochen Hieber
          Freier Autor im Feuilleton.

          Geboren war auf diese Weise eine Kunstform der Fußballkultur. Auf verblüffende Weise verband sie Abstraktion und Imagination, paarte den Mythos vom einsamen Genie mit der Phantasie eines Massenspektakels und vereinte dabei Elemente des Balletts mit den Möglichkeiten der Pantomine. Beim Publikum und bei der Kritik erntete Furlan in der Folge manchen Lorbeer und stieg darüber in die Weltspitze auf. Im Jahr 2006 spielte er deshalb schon im Pariser Prinzenpark und verkörperte „Numéro 10“, keinen Geringeren mithin als Michel Platini, Frankreichs unwiderstehlichen Spielgestalter aus den siebziger und achtziger Jahren.

          „Wenn ich einen Deutschen sehe, werde ich zum lebendigen Rasenmäher“

          Im Rahmen der Wiener Festwochen präsentierte sich Massimo Furlan an vergangenen Wochenende bei einer einmaligen Vorstellung nun in der Rolle des österreichischen Nationalhelden Hans Krankl. Diesem klassischen Mittelstürmer verdankt sein Heimatland den wichtigsten Fußballsieg seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Am 21. Juni 1978 schlug Österreichs Nationalelf den scheinbar übermächtigen Erzrivalen Deutschland bei der Weltmeisterschaft in Argentinien mit 3:2, versetzte damit ein ganzes Land über Wochen hinweg in Euphorie, um sich schließlich in den dauerhaften Zustand einer staatstragenden Legende zu verewigen. Krankl schoss sowohl das zweite als auch das entscheidende dritte Tor und machte damit auch seine vor dem Aufeinandertreffen in der Universitätsstadt Cordoba ausgestoßene Prophezeiung wahr: „Wenn ich einen Deutschen sehe, werde ich zum lebendigen Rasenmäher.“

          „I werd' narrisch”: Massimo Furlans Jubelgeste nach dem Siegtreffer
          „I werd' narrisch”: Massimo Furlans Jubelgeste nach dem Siegtreffer : Bild: dpa

          Genauso berühmt wie das Spiel selbst ist unter Fußballenthusiasten - und durchaus nicht nur unter österreichischen - die Radioübertragung des 1989 gestorbenen und naturgemäß ebenfalls längst legendären Reporters Edi Finger. „Tor! Tor! Tor! I wear narrisch“ rief er in der 88. Minute den Hörern in der Heimat zu und drohte zugleich, nun sofort den neben ihm sitzenden österreichischen Kollegen „abzubusseln“, was wohl auch geschah.

          Hütteldorfer „Wunder von Cordoba“

          Der Kunstgriff bei Furlans furioser Wiener Performance bestand darin, einerseits die Laufwege und Gesten des Hans Krankl während der neunzig Minuten von Cordoba nachahmend wiederauferstehen zu lassen - zugleich aber auch den Reportageton variierend zu bewahren. Also wurden den etwa dreitausend Besuchern, die am Freitagabend ins Hanappi-Stadion des Wiener Stadtteils Hütteldorf strömten, gleich am Eingang kleine Radios in die Hand gedrückt, mit denen sie im Anschluss der neuen Live-Reportage von Edi Finger jr. lauschen konnten - jawohl, der Sohn der Legende hat es tatsächlich gewagt, auch seinerseits Sportreporter zu werden. Und er machte beim Hütteldorfer „Wunder von Cordoba“ seine Sache wirklich gut.

          Fabelhaft war das Publikum. Jede Vorwärtsbewegung von Furlans Krankl wurde frenetisch bejubelt, jede gefährliche Attacke der Deutschen - viele waren es nicht - mit Pfiffen bedacht. Welle um Welle ging über die vollbesetzte Haupttribüne des Heimstadions von Österreichs neuem Fußballmeister SK Rapid Wien hinweg, einige deutsche Fans im Outfit der WM 2006 spielten unmasochistisch in der Rolle der gedemütigten Verlierer mit. Noch bevor Hans Krankl das entscheidende balllose Tor in den leeren Kasten schob, rannten, wie Finger jr. trefflich reportierte, „drei Nackerte“ über das Spielfeld.

          Überaus magisch dann die finale Szene. Für die letzten Minuten erlosch das Flutlicht, im Dunkel der Nacht folgte ein einziger Lichtkegel den letzten Schritten des rot-weiß-roten Helden. Es war ein Triumph - Österreich hat wenige Tage vor Beginn der Europameisterschaft im eigenen Land seinen größtmöglichen Erfolg schon errungen.

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