
Kommentar zum Neustart : Bundesliga „made in Germany“
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Neue deutsche Fußballwelt: In der Bundesliga wird in der Corona-Krise wieder gespielt, die Ersatzspieler sind sehr einsam. Bild: EPA
Insgesamt ist der Bundesliga die Rückkehr auf die Bühne besser geglückt, als viele das erwartet hatten. Aber die Wahrheit liegt in der Corona-Krise nicht nur auf dem Platz.
Neunundzwanzig Minuten dauerte es, bis der erste Treffer fiel. Das fühlte sich lang an, war aber, wenn man so wollte, nur ein Wimpernschlag der Fußball-Geschichte – gemessen an den 66 Tagen Wartezeit vorher. Dass danach in Dortmund und anderswo mehr über den Torjubel gesprochen wurde als über die Treffer selbst, war gleichermaßen ein Zeichen der alten wie der neuen Zeit im Fußball: der alten, weil die Neigung, das Nebensächliche in den Vordergrund zu stellen, nicht von heute auf morgen aus dem Bild des Showsports Fußball verschwinden wird. Auch wenn es am Wochenende alles in allem angenehm maßvoll wirkte, wie es auf dem Rasen und auch an den Mikrofonen zuging.
Vor allem aber war es ein Symptom der neuen, der Corona-Zeit. Weil sich beim Restart neben der speziellen Atmosphäre alle Augen darauf richteten, wie genau es die Akteure mit den Hygieneregeln nehmen würden. Auch wenn dafür formal kein Videobeweis zuständig ist und auch keine Karten verteilt werden: Fürs Erste bot das Stoff für Diskussionen wie sonst fast nur die Frage: Handspiel oder nicht? Vorbildlich die Dortmunder, die auf Abstand achteten, als habe Trainer Favre ihnen Raumaufteilung und Laufwege auch für diesen Fall penibel aufgezeigt. Weniger die nähebedürftigen Berliner, bei denen Kapitän Ibisevic witzelte (oder vielleicht auch nicht), er habe vorher „den Doktor gefragt“, ob so ein Tor, wenn im Kollektiv bejubelt, denn auch zähle.
Hier wie anderswo muss sich das richtige Maß zwischen einer gewissen Gelassenheit – Kontakt gibt es während der 90 Minuten sonst ja auch – und unangebrachtem Überschwang erst noch finden. Insgesamt ist der Bundesliga die Rückkehr auf die Bühne besser geglückt, als viele das erwartet hatten, und so wird sie nun von allen Seiten mit Lob überhäuft. In diesem Erfolg darf sie sich für den Augenblick sonnen, weil sie etwas geschafft hat, wovon andere Ligen und Länder noch träumen. „Made in Germany“ ist nun so etwas wie der Goldstandard für den Sportbetrieb, beinahe weltweit.
Darüber sollte der Fußball jetzt allerdings nicht den Fehler machen, die Wahrheit allein auf dem Platz zu verorten. Die liegt auch weiterhin in den Laboren, wo sich in den kommenden Wochen entscheidet, ob das Projekt nach diesem guten Gefühl zum Auftakt auch ein gesundes Ende bringt; die kritischen Situationen, das war schon vorher klar, sind ja nicht die im Stadion, sondern die im Alltag der Profis zwischen Trainingsplatz und Wohnung (und manchmal auch dem Supermarkt).
Vor allem aber sollte der Fußball nicht vergessen, wie viel Glück er bei all seinen Anstrengungen gehabt hat: dass seine Rückkehr just in eine Zeit fällt, in der es nicht verstörend wirkt, dass der Ball überhaupt ins Rollen kommt. Das eigentliche Spielfeld hat weder das penible Hygienekonzept noch die sorgfältig orchestrierte Lobbyarbeit bereitet – sondern der Weg der deutschen Politik und die Bereitschaft der Menschen, ihn auch mitzugehen.
Dass der Fußball nun mit als Erster davon profitiert, sagt noch nichts darüber, ob er nach dem grünen Rasen auch woanders wieder ankommt: in den Herzen. Denn eins hat sich in den vergangenen Wochen auch gezeigt: So, wie Ibisevic falsch damit lag, dass es für Tore eines Attests bedürfe, war es ein Irrtum, zu glauben, man müsse dem darbenden Land die Bundesliga wie auf Rezept verschreiben.