
Nationalelf-Kommentar : Jetzt heißt es: Durchbeißen!
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Mehr denn je gefragt: Deutsche Tugenden wie hier von Mats Hummels gegen den Amerikaner Dempsey demonstriert Bild: AP
Die Vorrunde ist überstanden, die Zweifel sind noch da: Auch nach drei Spielen und zwei Wochen Weltmeisterschaft ist die deutsche Nationalmannschaft schwer einzuschätzen. Nun stehen die Wochen der Wahrheit an.
Wenn Sie nach zwei Wochen und drei Vorrundenspielen mit der deutschen Mannschaft in Brasilien an dieser Stelle erfahren wollen, ob es endlich etwas wird mit dem WM-Titel für Deutschland - bitte nicht weiterlesen.
Na schön. Jetzt, da Sie doch weiterlesen, können wir, ganz unter uns, auch ganz offen sprechen. Die Antwort lautet: keine Ahnung. Und: gemischte Gefühle. Mit Gefühlen ist das bekanntlich so eine Sache. Sie können täuschen. Und trotzdem verrät das Bauchgefühl oft mehr als der Verstand. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hatte nach dem 4:0 gegen Portugal das Gefühl, er befände sich wieder im WM-Titeljahr 1990. Damals gab es noch Jugoslawien und einen 4:1-Sieg. Ein Erfolgserlebnis, das die deutsche Elf bis zum Sieg nach Rom trug.
Die Zweifel sind noch da
Und was ist in Brasilien vom Auftaktsieg geblieben? Die Gewissheit, dass große individuelle Klasse vorhanden ist. Und die Zweifel? Sind noch da. Die Durchschlagskraft gegen Ghana und die Vereinigten Staaten war mäßig, die Widerstandskraft begrenzt. Slogans in diesen Tagen über das DFB-Team verkünden aber nach „bereit wie nie“ nun weltmeistermäßig: „reif wie nie“. Theoretisch kann man sagen: Ja, stimmt. Praktisch aber eher: Na ja. Die Überzeugung, es mit einem Weltmeister zu tun zu haben, mag sich nicht recht einstellen.
Das muss gar nicht schlecht sein. Steigerungspotential ist vorhanden, von bedenklicher holländischer Frühform keine Spur. Mit deutschen Vorhersagen ist es auch deshalb schwierig, weil der Maßstab nicht auf Viertel- oder Halbfinale zielt. Davon haben Spieler und Fans schon genug. Was zählt, ist das Endspiel. Sonst nichts. Eine vermessene Forderung, natürlich. Und unfair. An einer besseren Mannschaft kann man immer scheitern: Aber Algerien, mit Verlaub, ist eben kein besseres Team. Und, bei allem Respekt, Frankreich oder Nigeria, die dann im Viertelfinale warten, auch nicht. Es wird also bis zum Halbfinale darauf ankommen, dass die deutsche Elf zu ihrer Leistungsgrenze findet. Dann wird sie diese Hürden nehmen.
Pro-und-Contra-Spielchen
Die Leistungsgrenze, die persönliche oder mannschaftliche Bestleistung, ist eine Kategorie, an der sich Sportler messen lassen. Und auch messen lassen wollen. Anders als nur an Siegen und Titeln. Von ihrer Bestleistung, vom Ausschöpfen des Potentials ist das deutsche Team jedoch ein gutes Stück entfernt. Das ist Chance und Gefahr zugleich. Im Konkreten heißt das: Hält Schweinsteiger 90 Minuten durch? Vermutlich. Hält Khedira 90 Minuten durch? Vermutlich. Sind beide über 90 Minuten in Höchstform? Eher nicht. Das Pro-und-Contra-Spielchen lässt sich leicht weitertreiben. Ist die deutsche Viererkette titelreif? Und das deutsche Offensivspiel jenseits von Müller? Die Abwehr musste diesen Beweis noch nicht erbringen, die Offensive hat ihn nicht erbracht.
Bei den Italienern würde man sagen, wenn sie noch dabei wären, dass sie ihre Kräfte klug einteilen. Und ihre Fähigkeiten erst dann vollständig zur Geltung bringen, wenn sie gefragt sind. Klappt aber, wie gesehen, auch nicht immer. Bei einer deutschen Elf hätte man früher gesagt: Eine Turniermannschaft, kommt schon noch. Aber genau die Qualitäten, die eine deutsche Turniermannschaft (was für ein schönes deutsches Wort) traditionell auszeichnet, sich durchzubeißen, sind gerade nicht die Stärke der spielerischen Begabten-Auswahl. Und sagen, geschweige denn fordern, darf man das bei dieser WM ja nun auch nicht mehr. Sonst wird man von der Fifa lebenslang gesperrt - und verpasst noch das Finale. Wie Deutschland. Oder mit Deutschland. Der Unterschied könnte winzig sein.