Zweifel an VAR-Eingriff : Bei Japans Siegtor geht es um Millimeter
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Im Aus? Japans Kaoru Mitoma passt den Ball an der Torauslinie in die Mitte, bevor er zum 2:1-Siegtreffer ins Tor geschossen wird. Bild: AP
War der Ball vor dem Siegtor der Japaner gegen Spanien im Aus oder nicht? Der Fall wirft die Frage auf, wann Videoschiedsrichter bei der WM in Qatar eingreifen dürfen.
Geht es nach den Stadionsprechern und Animateuren in den Arenen, ist alles bei dieser Weltmeisterschaft „great“ und „amazing“, wirklich „fascinating“. Das Spiel zwischen Japan und Spanien war es natürlich auch. Der Einheizer am Mikrofon überschlug sich stimmlich, er gratulierte beiden Mannschaften zum Einzug in die nächste Runde. „Really amazing“, rief er. Das kam ganz auf den Blickwinkel an. Es gab auch Menschen, die empfanden das Geschehene als weniger großartig. Eher „skandalös“.
Seit der Weltmeisterschaft 1982 und dem legendären Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Österreich, die sich ohne Worte, aber mit den Füßen auf ein 1:0 einigen, um beide weiterzukommen und Algerien aus dem Turnier zu werfen, haben Duelle am letzten Gruppenspieltag mindestens einen faden Beigeschmack, sofern sich beide anschließend freuen dürfen. Das war in diesem Fall nicht anders. Viele Fragezeichen flirrten durch die qatarische Nacht, die niemand beantworten konnte oder wollte. Auch nicht am nächsten Tag.
Im Blickpunkt stand das Tor der Japaner zum 2:1. Vor dem entscheidenden Pass von Kaoru Mitoma auf Ao Tanaka war der Ball mit 99 Prozent seines Umfangs im Toraus. Höchstens ein minimaler Teil könnte noch die Linie berührt haben, es ging um Millimeter. Je nach Blickwinkel oder Kameraeinstellung. Eine, auf der der Ball klar im Aus ist, bekam Spaniens Trainer Luis Enrique gezeigt.
Seine Reaktion kurz nach Spielschluss fiel emotional aus: „Das kann nicht sein. Mein erster Gedanke war: ‚Das muss manipuliert sein‘“, sagte er. Was real und was Trug, was manipuliert und was echt ist, wurde im Vorfeld dieser WM diskutiert wie vor keinem anderen Turnier. Vor allem in Deutschland. Mannschaft und Verband machten sich damit außerhalb des eigenen Landes wenig Freunde, vor allem nicht beim Weltverband FIFA.
In der Geschichte der Weltmeisterschaft gab es immer wieder kontroverse Entscheidungen, durch den Einsatz der Videoassistenten sollten diese minimiert werden. „Heutzutage gibt es eine großartige Technologie auf der großen Fußballbühne“, sagte Japans Trainer Hajime Moriyasu. „Wenn der Ball wirklich im Aus gewesen wäre, hätte es nicht gezählt. Der Schiedsrichter hat aber entschieden, dass der Ball drin war.“
Auf dem Feld war das zunächst anders, da zeigte Victor Gomes aus Südafrika erst kein Tor an. Dann meldete sich der mexikanische Videoassistent Fernando Guerrero. In der Bundesliga sind die Assistenten an den Bildschirmen dazu aufgerufen, nur bei krassen Fehlern einzugreifen. Ob es diese Anweisung bei der WM auch gibt, geht aus der Linie der Schiedsrichter bisher nicht hervor. Vieles wirkt willkürlich.
Ein Beispiel ist der Elfmeter für Argentinien gegen Polen, als Lionel Messi höchstens leicht vom polnischen Torwart im Gesicht touchiert wurde. Eine Tendenz ist, dass nach Eingreifen des VARs das vorherige Urteil geändert wird. So auch dieses Mal. Nach mehrminütiger Überprüfung korrigierte sich Gomes.
Eine Entscheidung von enormer Tragweite. Bei einem Unentschieden zwischen Japan und Spanien wäre Deutschland weitergekommen, nicht Japan. „Für mich war er halb aus, aber so richtig konnte ich es nicht sehen. Wenn er ihn aus gegeben hätte und das Tor nicht gezählt hätte, hätte ich es akzeptiert und wäre nicht enttäuscht gewesen“, sagte der Torschütze Tanaka.
Die Enttäuschung auf spanischer Seite hielt sich in Grenzen, auch wenn sich Trainer Enrique aufgewühlt und zerknirscht gab. „Ich bin heute nicht glücklich, weil Japan gewonnen hat. Es gibt nichts zu feiern. Wir haben uns qualifiziert, mehr nicht“, sagte er. Wirkliche Bemühungen, noch zum Ausgleich zu kommen, gab es seitens seiner Mannschaft nicht.
Im Achtelfinale trifft Spanien am Dienstag auf Marokko (16 Uhr MEZ im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-WM, in der ARD und bei MagentaTV). Als Gruppensieger hätte man schon am Montag gegen Kroatien spielen müssen. Ein mögliches Aufeinandertreffen im Viertelfinale mit Brasilien bleibt nach der Niederlage gegen Japan ebenfalls erspart. Enrique, der seine Mannschaft stark verändert und vor allem im empfindlichen Abwehrbereich umgestellt hatte, wollte von möglicherweise leichteren Gegnern nichts wissen. Bei einer WM gebe es keine leichten Gegner, grummelte er.
Besser gelaunt war Verbandspräsident Luis Rubiales, der sich Stunden vor dem Spiel mit seinem japanischen Kollegen Kohzo Tashima getroffen hatte, um eine Kooperation der Verbände für die kommenden Jahre zu unterzeichnen. Nach der WM soll die Zusammenarbeit aufgenommen werden. Für Rubiales gibt es dann einiges zu tun, er wird auch einen neuen Nationaltrainer suchen müssen.
Luis Enrique möchte seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Wie er das finde, wurde Rubiales dieser Tage gefragt. „Ob ich es mögen würde, wenn Enrique weitermacht? Ich würde es mögen, Weltmeister zu werden“, sagte Rubiales. Die Chancen dafür stehen weiterhin gut. Trotz oder gerade wegen der Niederlage gegen Japan.