Mit speziellen Assistenten : So will Argentinien den WM-Fluch besiegen
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Wollen weiter Feiern dürfen: Argentinische Fans in Qatar Bild: AFP
Alle vier Jahre entsteht in Argentinien eine Erwartungshaltung, die sämtliche Nachfolger Diego Maradonas aufs Neue lähmen kann. Nationaltrainer Lionel Scaloni hat sich deshalb etwas Besonderes einfallen lassen.
Seine Karriere als Fußballspieler hat Roberto Ayala längst beendet, aber in den vergangenen Tagen musste er sich immer wieder in kurzen Hosen sehen. Ein Vergnügen war das nicht. Was da von all den Fernsehstationen in Endlosschleife verbreitet wurde, beschrieb Ayala „als den tristesten Moment meiner Laufbahn“. Eine dunkle Stunde, die zu den hellsten in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften zählt.
Am 4. Juli 1998 trafen die Niederlande und Argentinien im Viertelfinale aufeinander. Im Velodrome von Marseille brach die letzte Minute an, 1:1 stand es nach Toren und Platzverweisen. Aus der niederländischen Hälfte wurde der Ball auf die Reise geschickt, über 40 Meter weit in Richtung von Dennis Bergkamp. Was dann folgte, war mit Stollenschuhen in den Rasen geschriebene Poesie.
Bergkamp nahm den Ball aus der Luft an, mit einer Bewegung. Spaniens Weltmeister Xavi Hernandez sprach über solch ein Gelingen mal: „Wenn ich so was sehe, dann sage ich, ‚Wow, das ist Talent’.“ Bergkamp verfügte über besagtes Talent. Er spielte den Ball Ayala durch die Beine und schoss ihn mit dem Außenrist ins obere Eck. Die Niederlande gewann 2:1, Argentinien fuhr nach Hause – und Ayala war fortan der, der sich von Bergkamp narren ließ.
„Der Fehler passierte nicht am Boden“
Mit dem Abstand von 24 Jahren sagt er heute über die Szene: „Der Fehler passierte nicht am Boden, der Fehler bestand darin, einen Ball über 40 Meter nicht zu lesen. Ich war bei diesem Spielzug schlecht positioniert. Ich hätte ihn wie ein Libero mit dem Kopf klären oder ihn mit dem Fuß einfach ins Aus schießen können, aber ich wurde trotzdem überrascht. Ich stand einfach schlecht.“
Bei der jüngsten Ausgabe der Weltmeisterschaft soll Ayala nun dafür sorgen, dass seinen Nachfolgern im himmelblau-weißen Trikot Argentiniens nicht Ähnliches widerfährt gegen den gleichen Gegner. An diesem Freitag geht es wieder gegen die Niederlande, wieder Viertelfinale (20.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-WM, in der ARD und bei MagentaTV). Mit Ayala auf der Bank.
Er komplettiert in Qatar den Stab von Trainer Lionel Scaloni. Ebenso mit dabei: Pablo Aimar und Walter Samuel. Alles ehemalige Nationalspieler, alle gehören ähnlichen Generationen an. Die Jahrgänge der Siebziger vereint das Scheitern beim Versuch, es den Weltmeistern von 1978 (3:1 im Finale gegen die Niederlande) und 1986 gleichzutun. Die Namen sind prominent, neben den heutigen Ko-Trainern zählen unter anderem Hernan Crespo, Claudio Lopez, Ariel Ortega oder Diego Simeone dazu. Argentinien wartet seit 36 Jahren auf den WM-Pokal, inniger und sehnsüchtiger als jede andere Nation.
Alle vier Jahre entsteht daheim zwischen dem Rio Pilcomayo und den Bergen Feuerlands, zwischen Mendoza und Buenos Aires eine Erwartungshaltung, die alle Nachfolger Diego Maradonas aufs Neue lähmen kann. Trainer Scaloni hat bewusst Assistenten gewählt, die wissen, was es bedeutet, für die Hoffnungen und Sehnsüchte eines ganzen Landes verantwortlich zu sein. Sie sollen vor allem den jungen Spielern mit ihrer Erfahrung zur Seite stehen, die ihre erste WM spielen. Wichtigstes Bindeglied ist dabei Pablo Aimar, der beim Verband auch für die U 17 zuständig ist und einige der heutigen Nationalspieler schon früher trainierte.
Aimar wurde im Spiel gegen Mexiko von den Kameras dabei eingefangen, wie er nach dem Führungstreffer von Lionel Messi einige Tränen vergoss. Die Gefühle hatten ihn überwältigt angesichts des drohenden Ausscheidens. Bei seiner einzigen WM als Spieler war er mehr Nebenfigur denn Hauptdarsteller gewesen. In Deutschland war sein Schicksal 2006 die Ersatzbank, an der Seite von Ayala gab es ein 0:0 zum Abschluss der Gruppenphase.
Die hat Argentinien in Qatar längst überstanden, wenn auch mit einem dicken Patzer zu Beginn gegen Saudi-Arabien (1:2). Der ist längst Geschichte, das Trainerteam leistete psychologische Aufbauhilfe. Ihre Kernaussage lautete: Genießt das Spiel. Genießt das Turnier. „Auch wenn wir verlieren, geht am kommenden Tag wieder die Sonne auf“, sagte Lionel Scaloni, der 2006 selbst im WM-Kader Argentiniens stand. Wer wüsste es also besser als er und seine Assistenten, die trotz schmerzlicher Niederlagen mit der Nationalmannschaft alle auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken können. Aus beflisseneren Mündern hätten die Sätze kaum kommen können. Argentiniens Spieler haben die Botschaft verstanden.