Bastian Schweinsteiger : Der deutsche Gladiator
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Gezeichnet vom großen Kampf im WM-Finale: Bastian Schweinsteiger Bild: REUTERS
Blut im Gesicht und Krämpfe in den Beinen – doch Bastian Schweinsteiger steht immer wieder auf und holt endlich einen Titel mit dem Nationalteam. Er wird so zum „Symbol eines deutschen Helden“.
Die deutsche Fahne flatterte um die Hüften. Die frisch gestillte Wunde glänzte unter dem rechten Auge. Blutrot und Schwarz-Rot-Gold – auf den ersten Blick sah Bastian Schweinsteiger aus wie ein Student in einer schlagenden Verbindung. Aber so kann einen Kämpfer seines Schlages ein Finale gegen Argentinien schon mal zurichten – wenn auch nur äußerlich.
„Jetzt wird gefeiert“, sagte Schweinsteiger. Kollege Manuel Neuer kündigte an: „Ich weiß nicht, wie lange wir feiern, aber wir werden jetzt immer mit einem Grinsen aufstehen.“ Für Schweinsteiger galt das nicht. Er ging mit dem Grinsen schon zu Bett. Und schlief vermutlich auch damit. Er trug es schon nach dem Spiel und legte es nicht mehr ab.
Es war ein langer Weg zum Ziel für den leidenschaftlichen Leidensmann in diesem wunderbaren Weltmeisterteam. Endlich ein Titel, endlich Champion. Zehn Jahre Nationalteam, das hieß für Schweinsteiger: viele Verletzungen, viele Enttäuschungen bei den Turnieren unter Jürgen Klinsmann (den er mit seinem 108. Länderspiel auf Platz fünf der deutschen Rekordspieler einholte) und unter Joachim Löw – dreimal im Halbfinale raus (WM 2006, WM 2010, EM 2012), einmal Finalverlierer (EM 2008). Da wollte Schweinsteiger sich, als das Ziel im Maracanã endlich so nahe war, von Tritten und Schlägen nicht mehr aufhalten lassen.
Nicht von den Fouls von Biglia und Mascherano und den anderen, die ihn in den intensiven Zweikämpfen im Zentrum so oft traten wie keinen anderen Spieler; nicht von Agüeros Schlag in sein Gesicht, über das danach unter dem Auge dicke Blutstreifen liefen; nicht von den Krämpfen, die ihn in der Verlängerung plagten. Kevin Großkreutz stand nach 112 Minuten schon bereit zu seinem ersten WM-Einsatz, als Ersatz für den angeschlagenen Schweinsteiger – doch der genas urplötzlich, schleppte sich zurück aufs Feld und stürzte sich gleich in das nächste Duell.
Schweinsteiger after this match. pic.twitter.com/rqiYPKPsR3
— Jonathan End (@jonathanend) 13. Juli 2014
In der letzten Szene der Partie, als Deutschland den Vorsprung zäh verteidigte, wurde der Bayern-Regisseur abermals im Mittelfeld grob gefoult und lag mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen – da pfiff Schiedsrichter Rizzoli ab. Sofort stürzte sich der fast zwei Meter große Per Mertesacker auf ihn, und binnen Sekunden hatten sich sechs, sieben andere übereinandergeschichtet auf die beiden geworfen. Eine Szene wie beim letzten Finale 2010, als Torschütze Andres Iniesta in ähnlicher Weise zur untersten Schicht eines spanischen Sandwichs geworden war und später sagte, was ihm dabei durch den Kopf ging: „Da unten will ich jetzt lieber nicht sterben.“ Er überlebte genauso wie der deutlich robustere Schweinsteiger.
„Symbol eines deutschen Helden“ sei er gewesen, schrieb der frühere norwegische Nationalspieler Jan Aage Fjörtoft über den Kurznachrichtendienst Twitter. Er spiele gar „in einer anderen Liga“, fand Schweinsteigers früherer Mitspieler Dietmar Hamann. Nach den schwierigen Not-Umstellungen im Mittelfeld – erst der Ausfall von Sami Khedira kurz vor Anpfiff, dann der K. o. von dessen Vertreter Christoph Kramer nach einer halben Stunde, danach die Rückkehr vom 4-3-3 zum 4-2-3-1 – war Schweinsteiger der große Stabilisator, der Fels im deutschen Spiel.
„Es war für mich ganz wichtig, gesund hierher, zur WM, zu kommen“, sagte er – da waren die paar Kampfspuren, die er wie eine Trophäe im Gesicht trug, nur eine Nebensächlichkeit. „Wir sind belohnt worden“, sagte Schweinsteiger mit seinem fast entrückten Dauerlächeln. „Ich habe vom Fußball alles zurückbekommen. Die ganzen Mühen sind belohnt worden. Deshalb bin ich so happy.“ Sein schönster Tag? Nicht ganz, „der Sieg von London war auch sehr schön“, der im Champions-League-Finale vor einem Jahr.
Aber schön genug, sich gleich das nächste Ziel zu setzen: „In Frankreich wollen wir dasselbe wiederholen“, sagte er mit Blick auf die Europameisterschaft 2016. „Wir haben die Erfahrung dafür.“ Neben dem 36-jährigen Miroslav Klose, der nach seinem 137. Länderspiel wohl aufhören wird, standen vier Spieler von nicht mehr als dreißig Lebensjahren, aber über hundert Länderspielen im Finale auf dem Platz (Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker) oder saßen auf der Bank (Podolski).
Vierter WM-Titel : Deutsche Fans im Siegestaumel
Am Ende war es ganz selbstverständlich Schweinsteiger, der der Mannschaft auf dem Weg hinauf auf die Tribüne des Maracanã vorausging – so wie er sie zuvor auf dem Platz angeführt hatte. Besonders stolz war er, „als erstes europäisches Team den Titel in Südamerika gewonnen“ zu haben, „das ist für mich etwas Besonderes“. Und das nicht nur als sportliche Leistung, sondern auch als Zeichen von Sympathie mit dem Ausrichterland der WM.
„Die Leute hier haben uns so viel Respekt entgegengebracht“, sagte Schweinsteiger. „Heute Abend haben wir auch für die Brasilianer gespielt. Ich mag ihre Lebensart. Sie sind immer glücklich, anders als wir Deutschen.“ An jenem Abend waren es die Deutschen ausnahmsweise auch – allen voran ihr grimmiger Gladiator, der mit Schlusspfiff das Land des Lächelns betrat.