Bundestrainer Hansi Flick Bild: dpa
Hansi Flick und der DFB einigen sich über die Fortsetzung der Zusammenarbeit. Nun wird viel über Vertrauen gesprochen. Aber der Bundestrainer geht angeschlagen in Richtung Europameisterschaft 2024.
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Zwei Stunden saß Bundestrainer Hansi Flick mit dem frischen DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf und dem einflussreichen 1. DFB-Vizepräsidenten Hans-Joachim Watzke am Mittwoch vor den Toren Frankfurts zusammen. Ein Krisengipfel, der Flick grundsätzlich nicht sonderlich behagt haben dürfte. Er sollte eine Analyse der vermurksten Weltmeisterschaft liefern. Und einen Weg aufzeigen, wie es bis zur Europameisterschaft 2024 in Deutschland wieder besser laufen soll in der Nationalelf.
Doch der Tag, der ursprünglich zusammen mit Oliver Bierhoff nur für eine Analyse vorgesehen war, wurde dann doch noch zu einem Tag der Entscheidung. In einer Presseerklärung machte Neuendorf die Mitteilung über „ein freundliches und konstruktives Gespräch über die aktuelle Situation und die Perspektiven der deutschen Fußball-Nationalmannschaft“: „Wir haben volles Vertrauen in Hansi Flick, dass er diese Herausforderung mit seinem Team meistern wird. Hinsichtlich der Nachfolge von Oliver Bierhoff haben wir uns darauf verständigt, zunächst innerhalb des DFB über die künftige Struktur dieses Aufgabenbereichs zu beraten, um anschließend eine Personalentscheidung zu treffen.“
Hansi Flick wiederum, der den Krisengipfel über eine Stunde vor der veröffentlichten Presseerklärung kommentarlos verlassen hatte, ließ sich nach dem offiziellen Weiter-so in eigener Sache wie folgt zitieren: „Mein Trainerteam und ich blicken optimistisch auf die Europameisterschaft im eigenen Land. Wir als Mannschaft können viel mehr erreichen, als wir in Qatar gezeigt haben. Wir haben dort eine große Chance verpasst. Daraus werden wir unsere Lehren ziehen. Ich habe Vertrauen in den heute verabredeten, gemeinsamen Weg mit Bernd Neuendorf und Aki Watzke. Wir alle möchten, dass sich bei der Heim-EM 2024 wieder ganz Deutschland hinter der Nationalmannschaft versammelt.“
Wie dieser Weg im Detail aussehen soll, welche Konsequenzen der Bundestrainer aus dem Aus in der Vorrunde ziehen will und wie er nach dem Rückzug seines Freundes und Vorgesetzten Bierhoff mit dessen Nachfolger umgehen will – darüber verloren die Beteiligten am Mittwoch kein Wort. Die Gemeinsamkeit ging an diesem Abend auch nicht so weit, dass Flick, Neuendorf und Watzke diese zusammen vor der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht hätten. Eine Mail musste reichen.
Dass es in den zwei Stunden zuvor ausreichend Gesprächsbedarf gegeben hatte, davon darf man ausgehen. Zumal der Bundestrainer am Vortag nach dem Rückzug von Bierhoff seine Loyalität zu seinem Freund und Vorgesetzten so stark bekundet hatte, dass der Eindruck entstehen konnte, dass Flick den langjährigen Geschäftsführer, Direktor und Manager der Nationalmannschaft für seinen Job als geradezu unverzichtbar ansieht.
„Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer, wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann“, hatte Flick erklärt. „Unsere Zusammenarbeit war immer von Loyalität, Teamgeist, Vertrauen und Zuverlässigkeit geprägt. Zusammenhalt war die DNA unseres Teams.“ Sein Statement hatte zu Vermutungen geführt, dass Flick sein Amt aufgeben könnte.
Die schnelle Einigung am Mittwoch zwischen der DFB-Spitze und dem Bundestrainer sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Der Weg von Flick bis zur Europameisterschaft 2024 dürfte ungemütlich werden. Das liegt nicht nur an der Personalie Bierhoff und der offenen Frage der Nachfolge. Es liegt auch an der Art und Weise, wie der Bundestrainer die Nationalelf in Qatar geführt hat.
In beiden Fällen wurde eine Stärke von Flick sichtbar, die sich als Schwäche entpuppte: Vertrauen schenken, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr gegeben sind; wenn sich Vertrauen von der objektiven Lageeinschätzung entkoppelt. In der Causa Bierhoff hat das für Flick keine direkten Konsequenzen, mit Blick auf die Nationalelf schon.
Nach dem Scheitern in Qatar muss der Bundestrainer nun nicht nur den sportlichen Misserfolg verantworten, sondern auch mit dem Vorwurf leben, dass seine besondere Beziehung zu den Bayernspielern einen Graben in der Nationalelf entstehen ließ. Auf dem Platz zeigte sich, dass das bedingungslose Vertrauen, das Flick in den Bayernblock setzte, nach den beiden Spielen gegen Japan (1:2) und Spanien (1:1) nicht mehr gerechtfertigt war.
Und dass der Bayernblock – der aus den sieben aktuellen Profis Neuer, Kimmich, Goretzka, Gnabry, Musiala, Sané und Müller bestand sowie dem Dortmunder Süle, der zu Flicks goldenen Münchner Zeiten ebenfalls zum Bayernteam gehörte – nach anderen als rein individuellen Kriterien bewertet zu werden schien. Verschiedentlich ist nun zu hören, dass nicht nur direkt betroffene Spieler wie Havertz, der statt des formschwachen und zuvor wochenlang ausgefallenen Müller gegen Costa Rica auf der Bank saß – und nach seiner späten Einwechslung (66. Minute) zwei Tore erzielte –, die „special relationships“ von Flick zu den Bayern nicht mehr nachvollziehen können.
Auch die Mannschaft dürfte einige Frage stellen, solche, von denen Langzeitwirkung ausgehen kann: Warum konnte Süle einen fehlerhaften Auftritt an den nächsten reihen, nicht aber Schlotterbeck? Warum bekam Ginter in der Innenverteidigung trotz dieser Schwächen keine Chance? Oder: Weshalb durften Füllkrug und Götze, beide in absoluter Topform nach Qatar gereist, nur eine kleine oder gar keine Rolle spielen in einer Nationalelf, die sich nie gefunden hat?
Goretzkas umstrittene Einwechslung
Auch die persönliche Enttäuschung von Torwart ter Stegen dürfte nicht einfach so verfliegen. Schon bei der WM 2018 hatte er unter Löw das Nachsehen gegenüber Neuer, der damals trotz monatelanger Verletzungspause dem in jener Saison herausragenden Barcelona-Torwart vorgezogen wurde. In Qatar war Neuer, der wiederum eine Verletzung zu überstehen hatte, nicht mehr der souveräne Rückhalt von einst – und bekräftigte nach dem Aus gleichwohl seinen Anspruch auf die Rolle der Nummer eins über die WM hinaus.
Innerhalb des Teams wurde zudem aufmerksam registriert, dass Flick im Auftaktspiel gegen Japan den bis dahin besten deutschen Spieler, Gündogan, nach gut einer Stunde für Goretzka vom Feld nahm. Dieser Wechsel, sportlich bei einer knappen Führung kaum nachvollziehbar, wurde im Team als Trostpflaster von Flick für den Münchner Mittelfeldspieler verbucht. Als eine Entscheidung, um den Bayernspieler bei Laune zu halten.
Und dass sich in der umstrittenen „Mund zu“-Aktion die beiden Bayernstars Neuer und Goretzka mit der Forderung durchsetzen konnten, unmittelbar vor dem Anpfiff ein Zeichen zu setzen, was einer grummelnden oder schweigenden Mehrheit gegen den Strich ging, dürfte auch ein Ballast sein, der Flick auf dem Weg zur EM begleitet.
Er hätte der Farce selbst ein Ende setzen können. Es fällt auf, dass im Zuge der Debatte um Flick sich seit dem WM-Aus kein Nationalspieler hinter den Bundestrainer gestellt und sich offensiv für die Fortsetzung seiner Arbeit ausgesprochen hat. Es ging meist nur um die eigene Befindlichkeit. Der Rest ist Schweigen.
All diese Entscheidungen, die allzu oft im Sinne seiner ehemaligen Bayernspieler ausgefallen sind, haben dazu geführt, dass der Bundestrainer mit dem Vorwurf leben muss, unbequeme Entscheidungen gegenüber diesen Spielern aus den falschen Gründen zu scheuen.
Ob es tatsächlich so war oder nicht: Flick hätte schon den Anschein verhindern müssen, dass es so sein könnte. Das macht die Herausforderung für Flick, aus einer geschlagenen und undefinierten Mannschaft in eineinhalb Jahren ein kraftvolles und geeintes Team für die EM zu schaffen, zu einer sportlichen Herkulesaufgabe.