Krisengipfel mit DFB-Chefs : Zweite Chance für den Bundestrainer
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Nach dem Scheitern in Qatar muss der Bundestrainer nun nicht nur den sportlichen Misserfolg verantworten, sondern auch mit dem Vorwurf leben, dass seine besondere Beziehung zu den Bayernspielern einen Graben in der Nationalelf entstehen ließ. Auf dem Platz zeigte sich, dass das bedingungslose Vertrauen, das Flick in den Bayernblock setzte, nach den beiden Spielen gegen Japan (1:2) und Spanien (1:1) nicht mehr gerechtfertigt war.
Und dass der Bayernblock – der aus den sieben aktuellen Profis Neuer, Kimmich, Goretzka, Gnabry, Musiala, Sané und Müller bestand sowie dem Dortmunder Süle, der zu Flicks goldenen Münchner Zeiten ebenfalls zum Bayernteam gehörte – nach anderen als rein individuellen Kriterien bewertet zu werden schien. Verschiedentlich ist nun zu hören, dass nicht nur direkt betroffene Spieler wie Havertz, der statt des formschwachen und zuvor wochenlang ausgefallenen Müller gegen Costa Rica auf der Bank saß – und nach seiner späten Einwechslung (66. Minute) zwei Tore erzielte –, die „special relationships“ von Flick zu den Bayern nicht mehr nachvollziehen können.
Auch die Mannschaft dürfte einige Frage stellen, solche, von denen Langzeitwirkung ausgehen kann: Warum konnte Süle einen fehlerhaften Auftritt an den nächsten reihen, nicht aber Schlotterbeck? Warum bekam Ginter in der Innenverteidigung trotz dieser Schwächen keine Chance? Oder: Weshalb durften Füllkrug und Götze, beide in absoluter Topform nach Qatar gereist, nur eine kleine oder gar keine Rolle spielen in einer Nationalelf, die sich nie gefunden hat?
Goretzkas umstrittene Einwechslung
Auch die persönliche Enttäuschung von Torwart ter Stegen dürfte nicht einfach so verfliegen. Schon bei der WM 2018 hatte er unter Löw das Nachsehen gegenüber Neuer, der damals trotz monatelanger Verletzungspause dem in jener Saison herausragenden Barcelona-Torwart vorgezogen wurde. In Qatar war Neuer, der wiederum eine Verletzung zu überstehen hatte, nicht mehr der souveräne Rückhalt von einst – und bekräftigte nach dem Aus gleichwohl seinen Anspruch auf die Rolle der Nummer eins über die WM hinaus.
Innerhalb des Teams wurde zudem aufmerksam registriert, dass Flick im Auftaktspiel gegen Japan den bis dahin besten deutschen Spieler, Gündogan, nach gut einer Stunde für Goretzka vom Feld nahm. Dieser Wechsel, sportlich bei einer knappen Führung kaum nachvollziehbar, wurde im Team als Trostpflaster von Flick für den Münchner Mittelfeldspieler verbucht. Als eine Entscheidung, um den Bayernspieler bei Laune zu halten.
Und dass sich in der umstrittenen „Mund zu“-Aktion die beiden Bayernstars Neuer und Goretzka mit der Forderung durchsetzen konnten, unmittelbar vor dem Anpfiff ein Zeichen zu setzen, was einer grummelnden oder schweigenden Mehrheit gegen den Strich ging, dürfte auch ein Ballast sein, der Flick auf dem Weg zur EM begleitet.
Er hätte der Farce selbst ein Ende setzen können. Es fällt auf, dass im Zuge der Debatte um Flick sich seit dem WM-Aus kein Nationalspieler hinter den Bundestrainer gestellt und sich offensiv für die Fortsetzung seiner Arbeit ausgesprochen hat. Es ging meist nur um die eigene Befindlichkeit. Der Rest ist Schweigen.
All diese Entscheidungen, die allzu oft im Sinne seiner ehemaligen Bayernspieler ausgefallen sind, haben dazu geführt, dass der Bundestrainer mit dem Vorwurf leben muss, unbequeme Entscheidungen gegenüber diesen Spielern aus den falschen Gründen zu scheuen.
Ob es tatsächlich so war oder nicht: Flick hätte schon den Anschein verhindern müssen, dass es so sein könnte. Das macht die Herausforderung für Flick, aus einer geschlagenen und undefinierten Mannschaft in eineinhalb Jahren ein kraftvolles und geeintes Team für die EM zu schaffen, zu einer sportlichen Herkulesaufgabe.