Geste vor EM-Spielen : Der Streit um den Kniefall spaltet Italien
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Die einen so, die anderen so: Gegen Wales waren sich die Italiener nicht einig. Bild: EPA
Kniefall oder nicht oder doch? In Italien gibt es eine überhitzte öffentliche Debatte um diese Geste. Vor dem EM-Viertelfinale gegen Belgien einigt sich das Team auf ein gemeinsames Vorgehen.
In Italien nimmt der Streit um den Kniefall als Zeichen der Solidarität mit der amerikanischen Black-Lives-Matter-Bewegung beziehungsweise als symbolische Geste gegen den Rassismus kein Ende. Am Vorabend des Viertelfinalspiels der Squadra Azzurra gegen Belgien an diesem Freitag (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-EM, im ZDF und bei MagentaTV) in der Münchner Arena sah sich die italienische Fußballspielervereinigung AIC zu einer Stellungnahme in der Sache veranlasst.
Die AIC „verurteilt in aller Entschiedenheit die instrumentalisierte Diffamierungskampagne gegen Spieler der Nationalmannschaft“, heißt es da.
Zwar wird in der Erklärung nicht explizit gesagt, welche Spieler in den sozialen Medien diffamiert wurden, aber es geht aus den nachfolgenden Sätzen der ausführlichen Erklärung der AIC hervor.
Es waren jene sechs Akteure, die nicht gemeinsam mit der gesamten walisischen Mannschaft sowie mit fünf ihrer Teamkameraden auf die Knie gegangen waren. Sie sahen sich, noch am Abend des Spiels vom 20. Juni im Stadio Olimpico zu Rom sowie an den folgenden Tagen, einer Hasskampagne ausgesetzt. Deren Botschaft lautete verkürzt: Wer bei solcher Gelegenheit stehen bleibt, outet sich als Rassist.
Gegen Belgien wird gekniet
Dagegen verwahrt sich nun die AIC. Sie verweist darauf, dass sämtliche Mitglieder der italienischen Nationalmannschaft Mitglieder der AIC seien, einige von ihnen im Vorstand. Und alle Nationalspieler hätten sich seit Jahr und Tag „an ungezählten Kampagnen gegen jede Form des Rassismus und der Diskrimination beteiligt“. In den Statuten der Vereinigung sei unmissverständlich festgelegt, dass die AIC „sich gemäß Artikel 3 der italienischen Verfassung jeder Form der Diskriminierung“ widersetze, heißt es in der Erklärung.
Ob sich die überhitzte öffentliche Debatte über Stehende und Kniende in der Squadra Azzurra nun abkühlt, steht dahin. Jedenfalls hatte sich die Nazionale nach dem Shitstorm vom Spiel gegen Wales und mit Blick auf das Achtelfinalspiel gegen Österreich am 26. Juni im Wembley Stadion auf eine einheitliche „Körperhaltung“ geeinigt.
Weil auch die Österreicher einschließlich Kapitän David Alaba – in Wien geborener Sohn einer Philippina und eines Nigerianers – nicht niederknien würden, werde man ebenfalls geschlossen stehen bleiben. Und so kam es dann auch. Nach allem, was man weiß, wurde der schwarze österreichische Stehenbleiber Alaba bisher nicht des Rassismus geziehen. So gut kamen die weißen Stehenbleiber aus Italien nicht weg.
Vor dem Spiel gegen die Belgier in München vom Freitagabend hat sich die Squadra Azzurra abermals auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt: Alle werden auf die Knie fallen, und zwar aus Solidarität mit dem belgischen Stürmer Romelu Lukaku. Der spielt seit 2019 in Italien, beim Meister Inter Mailand, und genießt bei allen Spielern in der Squadra Azzurra höchsten Respekt. Man kennt sich von vielen Spielen in der Serie A.
Die Belgier haben sich bisher vor jedem ihrer vier Spiele bei der EM-Endrunde für den gemeinsamen Kniefall entschieden. Die Italiener werden gegen die Belgier nun ihre insgesamt dritte Variante praktizieren: alle auf die Knie. In den Spielen gegen die Türkei, die Schweiz und Österreich waren jeweils alle italienischen Spieler stehen geblieben. Gegen Wales war dann knapp die Hälfte des Teams auf die Knie gegangen.
Die knienden Puristen der antirassistischen Symbolkampagne werden mit diesem Durcheinander nicht zufrieden sein. Die stehenden Kämpfer gegen das Diktat der politischen Korrektheit auch nicht. Gerade deshalb steht die Squadra Azzurra, von zwei Seiten unter Beschuss genommen, gut da. Beziehungsweise kniet.