Der Moment des großen Glücks: Die italienischen Spieler jubeln über den Sieg in Finale. Bild: Reuters
England schießt das schnellste Finaltor der bisherigen EM-Geschichte, Europameister aber wird Italien. Im spannenden Endspiel von Wembley fällt die Entscheidung erst im Elfmeterschießen.
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Als im großen Finale 112 Sekunden abgelaufen waren, streckte Luke Shaw den rechten Arm aus. Der Linksverteidiger der Engländer rannte in den Strafraum der Italiener rein, als er sah, dass dort kein Abwehrspieler war, der auf ihn aufpasste. Mit dem ausgestreckten Arm versuchte er seine Mitspieler möglichst unauffällig darauf aufmerksam zu machen. Da flankte Kieran Trippier den Ball in seine Richtung.
Als im großen Finale 118 Sekunden abgelaufen waren, streckte Luke Shaw nicht nur den rechten, sondern auch den linken Arm aus. Er rannte möglichst auffällig wieder aus dem Strafraum der Italiener raus, wo ihn mittlerweile auch die Abwehrspieler entdeckt hatten. Da war es aber schon zu spät.
Als im großen Finale, das am Ende mehr als 120 Minuten dauern sollte, nicht mal zwei Minuten abgelaufen waren, hatte Shaw, der Defensivspezialist von Manchester United, zwischen seinen Handbewegungen auch noch den linken Fuß ausgestreckt und den Ball, den Trippier in die Mitte geflankt hatte, mit dem Vollspann erwischt – und unaufhaltsam im Tor versenkt. Nach 116 Sekunden war es das schnellste Finaltor der bisherigen EM-Geschichte.
Die passende Pointe
Am Sonntagabend haben Luke Shaw und die englische Fußballnationalmannschaft ihre Gegner aus Italien im Finale der Europameisterschaft in eine Situation gebracht, in der diese in den sechs Spielen davor nicht gewesen waren: in Rückstand. Auf einmal mussten diese im Wembley-Stadion in London nicht nur gegen den Widerstand der Engländer auf dem Rasen, sondern auch gegen den Widerstand der Engländer auf den Tribünen aufholen.
Daran würden wohl die meisten Mannschaften scheitern, nicht diese Italiener. Der Innenverteidiger Leonardo Bonucci schoss in der 62. Minute das 1:1. Es ging danach in die Verlängerung, ins Elfmeterschießen. Als letzter Schütze scheiterte der Engländer Saka. Und so endete die Europameisterschaft mit einem Ergebnis, das zur Konzeption passte: mit einem Auswärtssieg. 4:3 für Italien nach Elfmeterschießen.
Italiens Trainer Roberto Mancini meinte später: „Wir haben ein frühes Tor kassiert, aber wir haben reagiert und den Sieg verdient. Wir freuen uns, ich hoffe, dass die Menschen in Italien feiern.“ Sein Gegenüber Gareth Southgate sagte: „Wir sind unglaublich enttäuscht. (...) Im Moment tut es einfach sehr weh. Ich habe entschieden, wer die Elfmeter schießt. Niemand ist alleine. Wir haben als Team gewonnen und verlieren als Team. Wenn es um das Elfmeterschießen geht, liegt es allein an mir.“
Der italienische Triumph war die passende Pointe dieses paneuropäischen Turniers, dass England und Italien am Ende um den Titel spielen durften. Unter den großen Fußballnationen des Kontinents waren ihre Mannschaften in diesem Sommer außergewöhnlich vereint, obwohl ihre Spieler, wie in diesem globalisierten Sport üblich, aus verschiedenen Vereinen aus verschiedenen Ligen zusammengestellt worden sind. Das konnte man auch an den Aufstellungen im Finale ablesen.
In der englischen Startelf spielten zum Beispiel Kalvin Phillips (Leeds United), Kieran Trippier (Atlético Madrid) und Declan Rice (West Ham United), in der italienischen Giovanni di Lorenzo (SSC Neapel) und Emerson (FC Chelsea). Das sind keine Stars in ihren Vereinen und ihren Ligen, aber Stars in ihren Rollen. Davon profitierten nun ihre Nationalmannschaften, in denen man aufgrund der knappen Vorbereitungsphase auf Spezialisten angewiesen ist – und Trainer, die diese als solche identifizieren und einsetzen.