DFB-Stürmer Thomas Müller : Raumdeuter im Schwarzen Loch
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Dass Thomas Müller mal in eine Krise gerät, damit konnte niemand rechnen. Bild: AP
Zwei Spiele, kein Tor, kein Torschuss: Thomas Müller findet nicht mehr die Wege, die der Weltmeister braucht. Damit hat niemand gerechnet. Auch der Bundestrainer steht vor einem Rätsel.
Am Samstag hatte die Nationalmannschaft frei. Zum ersten Mal in knapp zwei Wochen. Thomas Müller mag diese Tage aber nicht besonders. Denn, so paradox es klingen mag: Sie engen ihn ein. Für einen freien Geist, der Müller auch im eng getakteten und reglementierten Fußballerleben geblieben ist, ist solch festgelegte Freizeit eben auch nur eine Form des Zwangs. Bei den vergangenen großen Turnieren hat er zwar versucht, sein Privatleben auf Kommando in dieses Schema zu pressen. Aber besonders gut hat das nicht funktioniert. Müller hat vielmehr die frustrierende Erfahrung gemacht, dass er, wenn er nicht selbst die Freiheit hat, über seine Zeit zu entscheiden, in diesen Momenten weder bei seiner Frau noch bei seinen Freunden aus dem Fußball- und Turniermodus rauskommt.
An diesem freien Samstag dürften, wenn der Eindruck nicht völlig täuscht, selbst die Gedanken des einzigen deutschen Nationalspielers, der sowohl das Fußball-Sieger-Gen wie das Karl-Valentin-Gen in sich trägt, so sehr um den Fußball kreisen, wie wohl noch nie während seiner nun insgesamt vier Europa- und Weltmeisterschaften. Und nicht zuletzt um die Enge, mit der Müller nun auch auf dem Platz zu kämpfen hat.
Die Selbstverständlichkeit ist weg
Nach zwei Spielen ohne Müller-Tor und ohne Müller-Chance droht vor dem letzten Grupenspiel gegen Nordirland (18 Uhr / Live in der ARD und im EM-Ticker auf FAZ.NET) bei der Europameisterschaft die Selbstverständlichkeit dahinzugehen, mit der einer wie Müller ansonsten spielt, schießt und trifft. Alleine diese Aussicht trifft den Weltmeister hart und unerwartet. Mit vielen Schwächen, Rückschlägen und Krisen war zu rechnen gewesen. Und sie kamen auch: Die Ausfälle von Reus und Gündogan waren bitter für den Bundestrainer und sein Team. Aber solche Verletzungen, die nicht zum ersten Mal vor Turnieren passiert sind, glaubte man aus Erfahrung dennoch gut wegstecken zu können. Und dass mit Schweinsteiger und Hummels zwei gestandene Weltmeister mit Blessuren ins Turnier gingen – auch das war keine wirklich neue Schwierigkeit.
Und auch die Diskussion nach dem 2:0-Sieg zum Auftakt gegen die Ukraine, ob die deutsche Defensive denn nun stabil genug sei, wiederholte sich bei jedem Turnier in der Ära Löw. Alles nicht gut, aber alles kein ganz großes Problem. Aber dass Thomas Müller nach nun zwei Spielen kein Tor und nicht einmal aufs Tor geschossen hat - das hat es bei der Nationalmannschaft noch nie gegeben. Und womit niemand gerechnet hatte, dafür gibt es bis jetzt auch keine Lösung.
Thomas Müller hält sich mit negativen Erfahrungen nicht lange auf. Er sucht sofort nach neuen Lösungen und der nächsten Chance. Aber nach dem 0:0 gegen Polen stand der Spieler, der auf alles eine gute, spontane und auch freche Antwort parat hat, ratlos vor einer Entwicklung. Das Schwarze Loch, das sich auch vor dem erfolgreichsten Torjäger der beiden vergangenen Weltmeisterschaften (jeweils fünf Treffer) vor dem Tor in Frankreich auftut, hat der große Raumdeuter und Lückensucher nicht kommen sehen.
„Ich bin auch persönlich nicht zufrieden“, räumte er nach 180 Minuten Europameisterschaft ein, in der plötzlich all die Lässigkeit und Leichtigkeit des Toreschießens verschwunden war, die sonst von keinem deutschen Spieler so sehr ausgeht wie von dem Torjäger mit den dünnen Beinen. „Mich stört dabei nicht einmal so sehr die Tatsache, dass ich noch kein EM-Tor erzielt habe, sondern eher, dass ich mir zusammen mit dem Team keine Torchance erarbeiten konnte.“
Schon beim Erfolg gegen die Ukraine hatte sich der Weltmeister schwergetan, aus seinen vielen herausragenden Offensivkräften ein torgefährliches Spiel zu entwickeln. Die Führung durch Mustafi entsprang einer Standardsituation. Und der bisher einzige herausgespielte Treffer fiel erst in der Nachspielzeit, als die Ukraine weit aufgerückt war. Eine völlig neue Angriffslage für eine Mannschaft, die sich in den vergangenen Jahren in der Offensive als einzigen Vorwurf nur den eines mitunter lässigen Umgangs mit ungezählten Möglichkeiten vorwerfen lassen musste.