Mesut Özil : Druck von rechts
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Volle Konzentration auf die Nationalmannschaft: Özil hemmt die Diskussion über seine Herkunft nicht Bild: dpa
Mesut Özil, Coverboy der deutschen Fußball-Integration, hat in Wahrheit nationale Grenzen längst überwunden. Auswirkungen auf seine Leistung habe die ständige Diskussion über seine Herkunft keine. Leistung zeigen will der leichtfüssige Mittelfeldspieler auch gegen Griechenland.
Der damalige Bundespräsident war erst während der Weltmeisterschaft 2010 gewählt worden, aber schon seine erste Auslandsmission führte ihn ein paar Wochen später nach Südafrika zur deutschen Nationalmannschaft. Christian Wulff applaudierte beim Sieg im Spiel um den dritten Platz über Uruguay auf der Tribüne, und am nächsten Tag saß er bei der Abschlusspressekonferenz des Deutschen Fußball-Bunds in Pretoria auf dem Podium.
Er machte die Nationalelf zu einer Staatsangelegenheit. „Die Mannschaft war bester Botschafter unseres Landes in der Welt. Sie hat viele Sympathien erworben und ein Bild von einem bunten, weltoffenen Deutschland gezeichnet - von Boateng bis Özil, von Schweinsteiger bis Lahm. Unser Land kann dankbar und stolz auf diese Mannschaft sein“, sagte Wulff.
Mesut Özil ist seit der WM 2010 ein doppeltes deutsches Symbol. Er steht wie niemand sonst in diesem Team für die spielerische Leichtigkeit, mit der sich der deutsche Fußball verwandelt hat - und für Integration, die auf dem Fußballplatz gelingen kann. Oder auch nicht.
Wenn man in diesen Tagen kurz vor dem deutschen Viertelfinale an diesem Freitag gegen Griechenland, über Özil spricht, dann dreht sich die Frage nicht nur darum, ob seine genialen Pässe dem deutschen Team den Weg ins Halbfinale bahnen. Es geht auch um den deutschen Pass - und damit um die Frage, die durch einen Twitter-Beitrag und Özils Strafanzeige gegen Unbekannt für große Schlagzeilen gesorgt hat: Ob Özil ein Deutscher ist, ein Deutsch-Türke oder ob er immer Türke bleiben wird in Deutschland. Und welches Deutschland diese Nationalmannschaft eigentlich repräsentiert.
Die Diskussion hat nun auch den Innenminister aufgeschreckt. Hans-Peter Friedrich bezeichnete die Hetze gegen Özil im Internet als „widerwärtig“. Die bei Twitter verbreiteten Parolen gegen den Mittelfeldstar von Real Madrid seien „nur die Spitze des Eisbergs“.
Seit Jahren Anfeindungen im Internet
Die Zeilen bei Twitter geben in aller Kürze nur den Tenor der Anfeindungen wieder, die schon seit Jahren im Internet kursieren, meist anonym: „Özil ist garantiert kein Deutscher! Ein Stück Papier ändert die Abstammung nicht.“ So hatte vor der Weltmeisterschaft schon die NPD auf die neuen deutschen Nationalspieler mit Migrationshintergrund reagiert und gegen Özil, Khedira und Boateng gewettert. In einer Kolumne der „Jungen Freiheit“, dem Blatt von der rechten Außenlinie, finden sich die Argumente aus dem Netz nun ausbuchstabiert wieder.
Objektiv falsch sei die Aussage ja wohl nicht, wenn man nicht übersehe, dass der Begriff „Deutscher“ nicht nur die Staatsangehörigkeit, sondern auch die Volkszugehörigkeit beschreiben könne, heißt es da. Den Zweifel an seiner eigenen Bereitschaft, nicht nur das deutsche Trikot zu tragen, sondern sich auch im Herzen als Deutscher zu fühlen und mit diesem Land zu identifizieren, „nährt ein Özil zudem ja auch selbst, wenn er jedesmal beim Ertönen der Nationalhymne angewidert den Mund zukneift, wie einige andere Migrationshintergründler in der Mannschaft übrigens auch“, empört sich die Zeitung. Wie krisenfest könne ein Bekenntnis zu Deutschland sein, das solche einfachen Gesten verweigere? So sieht die Spitze des dunklen Eisbergs aus.
„Deutsch-türkischer Spanier oder spanischer Deutsch-Türke?“
Özil hat in seinem realen Leben als Weltstar bei Real Madrid die nationalen Grenzen tatsächlich längst hinter sich gelassen, er lebt in einer internationalen und höchst privilegierten Fußballwelt. Die rechte Wut zieht er trotzdem auf sich. „Ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht - bin ich dann ein deutsch-türkischer Spanier oder ein spanischer Deutsch-Türke? Warum denken wir immer so in Grenzen?“, teilt Özil auf Anfrage gegenüber dieser Zeitung mit. „Ich will als Fußballer gemessen werden - und Fußball ist international, das hat nichts mit den Wurzeln der Familie zu tun.“
Seit der Deutsche Fußball-Bund Özil zu seinem Integrationsbotschafter ernannt hat und die Bundeskanzlerin das Mitglied des internationalen Fußball-Lifestyles zu einem deutschen Integrationssymbol gemacht hat, steigt der rechte Druck auf Özil. Wenige Tage nachdem er und seine Kollegen im Schloss Bellevue im Herbst 2010 mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet wurden, pfiffen auch türkische Fans auf den in Gelsenkirchen geborenen deutschen Spielmacher türkischer Eltern bei jedem Ballkontakt, weil er sich für die Nationalmannschaft seines Geburtslands entschieden hatte. Danach kam die Bundeskanzlerin in die Kabine, beglückwünschte Özil zum Sieg und zu seinem Tor. Das Foto, das Angela Merkel neben einem Özil mit freiem Oberkörper zeigte, und vom Bundeskanzleramt verbreitet wurde, ist seitdem das deutsche Fußball-Integrationsbild schlechthin.
Özil zum Symbol für Integration aufzubauen hat vor allem dem DFB und der Politik ein paar Punkte eingebracht. Die negativen Folgen allerdings, den Eindruck kann man nicht nur in diesen Tagen gewinnen, muss der Coverboy der deutschen Fußball-Integration jedoch allein tragen. „Es belastet uns nicht, aber es trifft uns“, sagt Mustafa Özil, sein Vater und Berater, nach der Twitter-Affäre bei der Europameisterschaft. „Mesut ist in Deutschland geboren. Er hat mehr für Deutschland und die Integration anderer Menschen getan als viele andere. Mesut ist ein wunderbarer Junge, der seinen Teil dazu beigetragen hat, dass dieses Bild des modernen Deutschland nach außen getragen wurde. Deswegen treffen uns solche Hetzkampagnen, aber es belastet nicht die Leistung.“
Kritik mit ausgrenzendem Ton
Die Kritik, wenn es sportlich mal nicht so läuft oder die höchsten Erwartungen nicht erfüllt werden, hat bei Özil und Co. in gewissen Kreisen auch immer noch einen anderen, ausgrenzenden Ton. „So ist das in Deutschland. Wenn du für Deutschland spielst, wie Mesut, Sami oder ich, und alles läuft positiv, dann sagt man: ,Das sind Deutsche. Die haben viel Deutsches.’ Aber wenn etwas Schlechtes passiert, sieht man plötzlich die andere Seite. Das ist dann alles nicht mehr deutsch. Wenn es gut läuft, liegt es an den deutschen Eigenschaften. Wenn es schlecht läuft, sind es die ausländischen“, hat der mit Özil befreundete Jerome Boateng einmal in einem ähnlichen Zusammenhang über diese ganz bestimmte öffentliche Wahrnehmung der deutschen Nationalspieler mit Migrationshintergrund gesagt.
Diskussionen über Nationalhymnen haben bei der EM immer Konjunktur - wie stets bei großen Turnieren. Ihr Stellenwert steht dabei in scharfem Kontrast zu einem ansonsten durch und durch globalisierten Fußball, bei dem in den Klubs nur Leistung zählt, nicht Herkunft. Wenn die deutsche Hymne nun wieder vor dem Viertelfinalspiel gegen Griechenland im Danziger Stadion erklingt, werden Özil, Khedira, Podolski und Boateng mit geschlossenen Lippen dastehen.
Die Loyalität wird in Frage gestellt
Das wird auch wieder dazu führen, dass ihre Loyalität in Frage gestellt wird. Die Nationalmannschaftsführung kennt diese von den Spielern als verletzend empfundene Diskussion seit der WM 2010 nur zu gut. „Unser wichtigstes Anliegen ist Toleranz, das ist unser Überbegriff. Dieser Gedanke findet sich bei uns in vielen Bereichen wieder: selbst beim Singen unserer Nationalhymne - wir tolerieren und akzeptieren, dass jemand nicht singt und sich natürlich trotzdem mit dem Land identifiziert“, sagt Manager Oliver Bierhoff. Özil wird in diesem Augenblick im Stadion um Glück und Gesundheit für sich und seine Mitspieler beten - und sich auf das Spiel konzentrieren. Das ist seine Aufgabe.