Ein Jahr nach Verletzungsdrama : Wie Zverev sich in Form bringt für die French Open
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Neues Glück in Genf? Alexander Zverev spielt derzeit nicht schlecht, aber viel zu schwankend. Bild: dpa
Sechs Monate nach seinem Comeback sucht der Tennisprofi weiter nach dem alten Selbstverständnis. Ein kleines Turnier in Genf wird sein Sprungbrett nach Paris. Das hat schon einmal funktioniert.
Während nur wenige hundert Meter entfernt auf der Anlage von Roland Garros in Paris die letzten Qualifikationsmatches vor Tausenden von Fans in einer hektischen und emotionalen Atmosphäre stattfanden, wirkte das Jean-Bouin-Trainingscenter am Donnerstagmittag wie eine Oase der Ruhe. Dort waren die Tennisprofis wenige Tage vor Beginn des wichtigsten Sandplatzturniers der Welt weitgehend unter sich.
Italiens Star Jannik Sinner schlurfte ungestört den Bordstein entlang hin zum Eingang. Dort angekommen, erwarteten den Südtiroler außer Kollegen und Tennisplätzen viel Grün und schöne Pflanzenbeete. Parallel trainierte Jan-Lennard Struff auf Court 24, ausgestattet mit einem spielerischen Selbstverständnis nach seiner Finalteilnahme jüngst in Madrid. Viel selbstbewusster wirkten auch die Turnierfavoriten Carlos Alcaraz und Novak Djokovic nicht . Einziger Unterschied: Sie trainierten auf dem Centre Court vor vollen Tribünen.
Schwere Bänderverletzung
Diesen Wechsel zwischen Training in der Idylle und Einheiten unter Match-Atmosphäre hat im vergangenen Jahr um diese Zeit auch Alexander Zverev vollzogen. Als Nummer drei und mit einem Turniersieg in Madrid und einem Halbfinale in Rom angereist, vereinte Zverev jene Mischung aus Selbstvertrauen und spielerischem Selbstverständnis, die ihn in Paris Alcaraz besiegen ließen. Der Schicksalsschlag der schweren Bänderverletzung im Halbfinale auf Augenhöhe gegen Rafael Nadal und die folgende siebenmonatige Zwangspause beendete diese Phase jäh.
Ein Turniersieg oder ein Erfolg gegen einen Top-20-Spieler blieben dem 26-Jährigen seit dem Comeback im Januar verwehrt. Nach seinem Aus im Achtelfinale in Rom gegen den Russen Daniil Medwedew und einem selbstzerstörerischen Interview danach hat Zverev auf der Suche nach dem Selbstverständnis kurzfristig eine Wildcard beim kleinen ATP-Turnier in Genf angenommen.
„2019 war wahrscheinlich sogar das Jahr, in dem ich noch schlechter gespielt habe, als ich das dieses Jahr tue“, sagte Zverev vor Turnierstart in Genf, wo er zum Auftakt den Amerikaner Christopher Eubanks problemlos kontrollierte und am Donnerstag das Halbfinale erreichte, nachdem sein Gegner, der Chinese Wu Yibing, im ersten Satz aufgeben musste. An diesem Freitag (15.20 Uhr) spielt Zverev gegen Nicolás Jarry um den Einzug ins Endspiel.
„Genf war ein gutes Sprungbrett“, erinnerte sich Zverev, der das Turnier vor vier Jahren gegen den später wegen Dopings gesperrten Chilenen Jarry gewann und in Paris das Viertelfinale erreichte. „Selbstvertrauen“ und „tägliche Matchpraxis“ nannte Zverev auch 2023 als Beweggründe für seine Teilnahme in Genf. Zverev hatte in Rom angegeben, sein „schlechtestes Tennis“ seit 2015, 2016 zu spielen. Im Rückblick auf die dritte knappe Niederlage innerhalb kurzer Zeit gegen Medwedew konstatierte Zverev. „Es war ein ziemlich schlechtes Interview.“ Er habe verstanden, dass er mit Alcaraz und Medwedew zuletzt eigentlich nur gegen zwei Konkurrenten verloren habe.
Das Masters-Turnier in Miami klammerte er wegen leichter Verletzungssorgen aus, München erwähnte er nicht. Überwiegend stimmt, was er sagt. Weit weg ist Zverev nicht mehr, aber fast in jedem Match noch zu großen Schwankungen ausgesetzt gewesen, um Profis dieses Kalibers zu besiegen. Die Konfrontationen bereits im Achtelfinale mit den formstarken Spitzenspielern liegen an der niedrigeren Setzung Zverevs, der erstmals seit 2016 nicht mehr die deutsche Nummer eins in der Weltrangliste ist. Struff auf Rang 26 steht einen Platz vor ihm.
Bei der Auslosung der French Open am Donnerstag entging der an 22 gesetzte Deutsche der starken oberen Hälfte mit Djokovic und Alcaraz. Zverev erwischte in dem Südafrikaner Lloyd Harris, der kein ausgewiesener Sandplatzspezialist ist, ein machbares Los. Frances Tiafoe, Jannik Sinner – und im möglichen Viertelfinale zum vierten Mal 2023 Medwedew sind die Topspieler in seinem Viertel.
Bereits in der dritten Runde gegen Tiafoe auf Augenhöhe agieren zu können, sollte für Zverev momentan als Erfolg gelten. Matchpraxis würden für diese Mission helfen – genauso wie hartes Training. „Täglich“ und „ohne Pause“ habe er seit Rom am Feinschliff gearbeitet. „Ich habe keinen Trainingssatz in den vergangenen vier Wochen verloren“, sagte er: „Aber ich muss das ins Match übertragen.“
An seiner Seite in Genf dabei helfen in dieser Woche die Eltern, der frühere Tennisprofi Tobias Kamke als Hittingpartner mit Zusatzaufgaben, Langzeit-Physiotherapeut Hugo Gravil sowie Fitnesstrainer Dalidor Sirola. Der ist in der Akademie des italienischen Erfolgstrainers Riccardo Piatti bekannt geworden und ersetzt seit Februar den ehemaligen Rugbyprofi Mark Bennett. Eine Anfrage dazu, ob der Spanier Sergi Bruguera in Paris als Trainer zurückkehrt, ließ Zverevs Team am Donnerstag unbeantwortet.