Tennisprofi Daniel Altmaier : Gut gebrüllt, Löwe
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Die Faust geballt: Was geht noch für Daniel Altmaier in Paris? Bild: Reuters
Der deutsche Qualifikant Daniel Altmaier steht bei den French Open sensationell im Achtelfinale. Ihn selbst aber überrascht das kaum. Er hat einen äußerst prominenten Mentor.
Wie soll man das finden, wenn ein Debütant, scheinbar aus dem Niemandsland kommend, im Achtelfinale landet und dann eher unaufgeregt feststellt: „Es läuft alles sehr gut. Und, um ehrlich zu sein, es läuft nach Plan.“ Daniel Altmaier ist 22 Jahre alt, er stand vor Beginn der French Open in der Weltrangliste auf Platz 183 und hatte nie zuvor bei einem Grand-Slam-Turnier gespielt. Dann gewann er drei Spiele in der Qualifikation und drei im Hauptfeld; das erste gegen einen Routinier mit einer Tonne Erfahrung, das zweite gegen einen formstarken Landsmann und das dritte gegen einen Spieler aus den Top10. Alles nach Plan, klar.
Doch der junge Mann kann recht überzeugend erklären, wie eines zum anderen kam. Kommen musste. Daniel Altmaier, geboren in Kempen am Niederrhein als Sohn einer russischen Mutter und eines Vaters aus der Ukraine, gehörte als Teenager zu den hoffnungsvollsten Talenten des Deutschen Tennis Bundes. Sein erstes Spiel auf der ATP Tour machte er im Mai 2017 in Genf und gewann bei diesem Turnier zwei Spiele in der Qualifikation, vor allem aber einen prominenten Mentor.
Wawrinka ist zu sehen und zu hören
Der Schweizer Stan Wawrinka nahm sich des jungen Deutschen an, und das ist in dessen Spiel längst zu sehen und zu hören. Zu sehen in manchen Bewegungen und Reaktionen, die an Wawrinka erinnern wie das Tippen mit dem rechten Zeigefinger an die Schläfe – soll heißen: Gut gespielt, schlau gespielt. Und zu hören, wenn er sich mit dem französischen Aufruf seines Idols, Kollegen und Kumpels aus der Schweiz anfeuert – „allez“!
Doch gestoppt von diversen langwierigen Verletzungen im Jahr nach dem Debüt, verschwand Altmaier eine Weile lang vom Radar, erst Anfang 2020 stand er wieder unter den besten 300 der Weltrangliste. Niemandsland? Eben nicht. Die Konkurrenz bei den Turnieren auf der sogenannten Challenger- oder Futures-Ebene werde komplett unterschätzt, findet er wie viele, die sich auf dieser Ebene bewähren müssen. All die Spiele hätten ihn reif gemacht für die Aufgaben, die jetzt vor ihm lägen. Kaum einer kam mit mehr Matchpraxis in diesem Jahr nach Paris als Altmaier, mehr sogar als Novak Djokovic bei vier Turniersiegen.
Trotzdem war es verblüffend, wie souverän Altmaier am Samstag in der dritten Runde gegen Matteo Berettini aus Italien gewann (6:2, 7:6, 6:4) – beim allerersten Auftritt auf einem der größten Tennisplätze der Welt, auf dem man sich beim ersten Mal sehr leicht verloren fühlen kann. Doch da war keine Spur von Nervosität, kein Zaudern, kaum ein falscher Schritt.
„Deshalb ist Tennis so interessant“
Es verrät eine Menge über eine Hierarchie, die längst nicht so steil ist, wie es von außen den Anschein hat, wenn Altmaier sagt, nicht dieses Spiel gegen die Nummer acht der Welt sei das bisher schwerste in Paris gewesen, sondern die letzte Runde der Qualifikation gegen den Niederlänger Ruben Bemelmans. „Deshalb ist Tennis so interessant, es gibt wirklich keine einfachen Matches mehr, egal, ob Challenger oder Berettini.“ Eine These, die der Freund aus der Schweiz sicher unterschreiben würde; Wawrinka hatte am Tag zuvor gegen einen Franzosen vom Weltranglistenplatz 239 verloren, einen gewissen Hugo Gaston.
Wie immer die Sache nun für den deutschen Herausforderer an diesem Montag im Achtelfinale gegen Pablo Carreño Busta aus Spanien weitergehen wird, seines Zeichens Halbfinalist der US Open kürzlich gegen Alexander Zverev und Nummer 18 der Welt: Mit den Siegen bisher ist Altmaier auf einer Ebene gelandet, auf der er ein Ziel fürs kommende Jahr schon abhaken und mit einem guten Polster auf dem Konto weitermachen kann. Das Preisgeld für die Siege in Paris übertrifft die Summe dessen, was er bisher in seiner Karriere insgesamt verdient hatte. Und mit 120 Punkten wird er nach dem Turnier in der Weltrangliste um Platz 120 herum stehen, womit er davon ausgehen kann, beim ersten Grand-Slam-Turnier des kommenden Jahres in Australien direkt im Hauptfeld zu landen.
Vielleicht geht ja noch mehr. Wenn er so spielt wie gegen Berettini, ist vieles möglich. Doch egal, wie es ausgeht: All das, sagt Altmaier, sei Teil eines Marathons. Eines Prozesses, bei dem er die Worte seines argentinischen Coaches Francisco Yunis in den Ohren hat, der immer wieder sagt: „Daniel, du hast das Spiel. Du kannst das, du kannst das, du kannst das.“ Wenn er ins Erzählen kommt, dann schießt er bisweilen Sätze ab, die in ihrer Geradlinigkeit seiner einhändigen Rückhand ähneln. Einer Rückhand, die vielleicht nicht ganz so massiv ist wie die seines Idols Stan Wawrinka, aber kaum weniger attraktiv. Wie man das also finden soll, wenn der keineswegs schüchterne Debütant behauptet, er fahre eine ordentliche Linie momentan, aber das sei wirklich erst der Anfang? Gut gebrüllt, Löwe. Weitermachen.