
Kommentar : Silvia Neid sollte dankbar sein
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Silvia Neid ist noch bis zu Olympia 2016 in Rio Bundestrainerin der Fußballfrauen Bild: AFP
Schlechte Ergebnisse werden öffentlich schön geredet, intern nicht wirklich diskutiert. Das Klima bei den DFB-Frauen fördert die Leistung nicht. Silvia Neid sollte mit der Kritik konstruktiv umgehen – und etwas wagen.
Es gibt bislang keine ernsthafte Stimme im deutschen Frauenfußball, die einen vorzeitigen Rücktritt von Bundestrainerin Silvia Neid und eine sofortige Stabübergabe an die designierte Nachfolgerin Steffi Jones fordert. Das muss zunächst betont werden. Und es wäre auch töricht, weil die Weltmeister- und Europameistertrainerin mit dem Halbfinaleinzug bei der WM gerechtfertigt hat, ihren Vertrag bis zum selbstgewählten Dienstende nach den Olympischen Spielen erfüllen zu dürfen.
Die 0:1-Niederlage gegen England im Spiel um Platz drei bei der Weltmeisterschaft in Kanada am Samstag spielt in dieser Bewertung keine Rolle. Die Kritiker, die beiden Bundesligatrainer Colin Bell und Ralf Kellermann, weisen nur in aller Deutlichkeit auf Defizite hin, die sie als intensive Beobachter der WM und als Vertraute einiger ihrer Spielerinnen erkannt haben: Nibelungentreue zu einem einzigen Spielsystem, zu wenig taktische Flexibilität, das Fehlen eines Plans B bei ungünstigem Spielverlauf, erstaunlich passives Coaching und Wechselverhalten im Spiel gegen die Vereinigten Staaten.
Deswegen habe das Nationalteam sein gewaltiges Potential nicht abgerufen. Das Nationalteam mit Silvia Neid an der Spitze muss mit diesen Hinweisen konstruktiv umgehen und vor allem dankbar sein für Kritik. Denn es wird immer offenkundiger, dass dem deutschen Frauenfußball eine Diskussionskultur und die Bereitschaft für Anregungen von außen fehlen.
Sowohl auf dem Platz als auch rund um das Nationalteam wird stete Harmonie gewünscht. Das vom DFB einst lobenswerterweise durchgesetzte Frauenförderprogramm, durch das nahezu alle Posten im Bereich des Frauenfußballs mit ehemaligen Spielerinnen einer Generation besetzt wurden, hat zu einer Atmosphäre geführt, in der keiner dem anderen weh tun will. Schlechte Ergebnisse werden öffentlich schön geredet, intern nicht wirklich diskutiert.
„Team USA“ als Vorbild für DFB-Elf
Spielerinnen trauen sich nicht, öffentlich auch nur leise Kritik zu üben. Anflüge von Meinungsverschiedenheiten werden nur aus deren Umfeld hinter vorgehaltener Hand weitergetragen. Ein solches Klima ist nicht förderlich, um das Optimum aus einer Fußballmannschaft herauszuholen. Es soll sogar Spielerinnen geben, die mit Unbehagen zum Nationalteam anreisen.
Vielleicht müssen sich die Deutschen einmal ein Beispiel nehmen am überlegenen Halbfinalbezwinger, den sie immer mit großem Argwohn wegen dessen Hang zur Selbstdarstellung beäugen.
Silvia Neid könnte etwas riskieren
Das Team der Vereinigten Staaten hat eine ganze Menge mündiger Spielerinnen, die ihre Interessen zu artikulieren verstehen - trotz eines strengen Kodex, der die Spielerinnen zu Loyalität gegenüber dem Team verpflichtet. Das Ergebnis sind Leistungssportlerinnen, die auch öffentlich zu ihren persönlichen Ambitionen in einem Team stehen können. Das ist leistungsfördernd.
Silvia Neid könnte ihr letztes Jahr, ähnlich wie ein amerikanischer Staatspräsident am Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit, nutzen, um auszubrechen aus dem bislang Üblichen und Dinge wagen, die ein gewisses Risiko bergen. Damit könnte sie auch ihrer Nachfolgerin Steffi Jones einen großen Dienst erweisen. Die Kritik aus der Bundesliga müsste sie dabei als Hilfe annehmen.