Weltmeister Vettel : Der Boss
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Der König: Sebastian Vettel in Suzuka Bild: REUTERS
Der Formel-1-Champion baut sich seine Welt so, wie er sie braucht, um erfolgreich zu sein. Er ist erst 24 Jahre alt - und längst zur Respektsperson im Fahrerlager aufgestiegen.
Es war Sommer, und an den Zäunen im Autodromo von Monza drängelten sich Hunderte Italiener, um ihn zu sehen, vielleicht eine Unterschrift von ihm mit nach Hause zu nehmen oder ein Foto. Eine aufgebrachte Menschenmenge, die beinahe schon hysterisch wurde und sogar den Weltmeister in Bedrängnis brachte. Denn nicht einmal das Sicherheitspersonal konnte die Tifosi noch länger zurückhalten, die Autogrammstunde von Sebastian Vettel musste abgebrochen werden. Mitten im Feindesland.
Normalerweise können sich die Italiener vor allem für Ferrari begeistern. Doch der Vierundzwanzigjährige ist eingetaucht in eine neue Dimension, die Welt um ihn herum hat sich verändert nach seinem Titelgewinn 2010. Viele Bilder erinnern an seinen berühmten Vorgänger, an Michael Schumacher. Genau wie die Dominanz auf der Strecke. „Es ist ein großer Kampf, um eine solche Position in der Formel 1 zu erreichen - und Sebastian hat diesen Kampf angenommen", sagt Schumacher.
Vettel ist aufgestiegen zu einer Respektsperson im Fahrerlager, er ist auf dem Weg zum Chef der Kompanie. Aber er geht diesen Weg auf eine eher subtile Art und Weise, und er lächelt dabei. „Die Menschen sind immer freundlich, wenn sie gewinnen", sagt Jenson Button (McLaren). Nicht unbedingt.
Nach seinem Sieg in Monza stand Vettel kurz vor der Siegerehrung neben Fernando Alonso (Ferrari), beide wischten sich den Schweiß von der Stirn, dann stieß Vettel den Spanier kurz an und sagte: „Hast du gesehen, ich war auf dem Gras, als ich dich überholt habe." Es war so etwas wie eine verbale Ohrfeige. Die Fernsehkameras sendeten diese Szene in die Welt, sie war mehr als nur eine kleine Anekdote. Sie machte deutlich, wer hier auf Dauer das Sagen hat.
Hinter der oft so gut gelaunten Fassade steckt ein Siegertyp, der vor allem vom Ehrgeiz getrieben wird und sich seine Welt so baut, wie er sie braucht, um erfolgreich zu sein. Das war schon in den Nachwuchsserien so, beispielsweise in seinem ersten Jahr in der Formel 3. Die Saison lief nicht so, wie es Vettel erwartet hatte, andere kämpften um die Siege, er fuhr hinterher und suchte längst den Grund dafür. Irgendwann sagte er dem Team, was seiner Meinung nach alles falsch liefe. Einige konnten kaum glauben, was sie hörten, der Junge war schließlich erst 17 Jahre alt. Aber sie reagierten, und prompt kamen die Erfolge. Vettel setzt sich durch.
Inzwischen wurde aus dem Talent ein Mann. An seiner Herangehensweise hat das nichts verändert. Seinen Teamkollegen Mark Webber hat er zum Nebendarsteller degradiert, der Australier ist zahm geworden, in der Öffentlichkeit wird er nicht mehr aufmüpfig.
Und auch die Experten am Kommandostand müssen sich zwangsläufig manchmal dem fügen, was Vettel ihnen vorgibt. In Monaco wollten sie, dass er noch einmal zum Reifenwechsel an die Box komme, doch der Deutsche hatte im Kopf schon seine eigene Analyse betrieben, er blieb auf der Strecke und gewann das Rennen. „Für ihn ist das selbstverständlich", sagt Helmut Marko, der Berater von Red Bull. "Er kann die Informationen um sich herum sehr schnell verarbeiten und trifft dann zumeist die richtigen Entscheidungen." Auch das erinnert an Schumacher.
15 Millionen Euro - Tendenz steigend
Kaum ein anderer kennt Vettel so gut und so lange wie Marko. Der Achtundsechzigjährige ist der verlängerte Arm von Red-Bull-Gründer und Teambesitzer Dietrich Mateschitz. Er sagt: „Niemand konnte erkennen, wie gut dieser Kerl einmal wird. Aber er ist ganz sicher noch nicht am Ende seiner Entwicklung." Geschätzt rund fünfzehn Millionen Euro lässt sich Red Bull die Dienste von Vettel im Jahr kosten. Der Betrag ist abhängig vom Erfolg, Tendenz steigend.
Der Mann ist sein Geld wert, denn selbst in schwierigen Momenten hat er nur die Sicherung seiner Siegesserie im Blick. Als er am Freitag im ersten freien Training in Suzuka mit seinem Boliden die Leitplanke touchierte und der Wagen danach am Haken hing, gestikulierte er wild herum und rief etwas zum Streckenposten. Er wollte offenbar, dass schnell ein Tuch über den Boliden geworfen werde, damit die Konkurrenz keines der neuen Teile entdecke, die er schon für das nächste Jahr getestet hat.
Er sagt etwas - wenn es etwas zu sagen gibt
Das Urteil der Experten über ihn ist längst gefallen. „Er läuft hier herum wie der König", sagt der ehemalige Teamchef und heutige BBC-Kommentator Eddie Jordan. Aber Vettel spielt sich nicht so auf. Seine Kollegen erzählen, dass er sich beispielsweise in den Fahrerbesprechungen eher zurückhaltend verhalte. Er sagt etwas, wenn es etwas zu sagen gibt. Wenn nicht, hält er lieber den Mund.
Auch das ist eine Qualität von Champions. Die Deutschen lernen ihn mehr und mehr als einen solchen kennen. Neben Basketballstar Dirk Nowitzki ist Vettel der Einzige, der derzeit eine Sportart von globaler Bedeutung prägt. Der zweite WM-Titel könnte der Anfang seines Aufstiegs zum Weltstar sein. Doch das Ende wird sich trotz seines Vertrages bis 2014 womöglich nicht bei Red Bull abspielen.
Der Getränkekonzern ist zu künstlich, er hat zu wenig Tradition, und seine Geschichte in der Formel 1 ist trotz der derzeitigen Erfolge gerade einmal eine Episode. Schumacher wurde zu einem globalen Schlager, als er von Benetton zu Ferrari ging und dort eine Ära prägte. Das bewies die Unabhängigkeit seines Erfolgs von der Maschine. Es verlieh ihm eine ganz bestimmte Aura, etwas Magisches.
Sebastian Vettel hat noch einiges vor sich. Dabei geht es ihm gar nicht unbedingt um Geld oder Ruhm. Er will vor allem ein sehr guter Rennfahrer sein.