
Formel-1-Kommentar : Einsamer Weltmeister
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Ratlos im Regen: Fernando Alonso Bild: AP
Siegertypen wie Fernando Alonso begnügen sich nicht mit der Rolle des Piloten. Seine Kritik am Renault-Rennstall ist nicht das Produkt des Frustes nach der Niederlage von Schanghai. Der Spanier sucht bewußt die Konfrontation. Ein Kommentar von Anno Hecker.
Fernando Alonso einsam im Renault! Wenn das kein Schrei der Verzweiflung ist. Am Sonntag hatte der Formel-1-Weltmeister sein Einzelkämpfer-Schicksal schon gegenüber spanischen Kollegen beklagt. Am Donnerstag stand er in Suzuka zu seinem Wort.
Der Hochbegabte aus Asturien, mitten im spannenden WM-Finale mit Michael Schumacher, fühlt sich nicht ausreichend unterstützt. Zweimal, in Indianapolis und am Sonntag in Schanghai, hatte er auf ein Signal gewartet; daß der Teamkollege Giancarlo Fisichella den Moment der Schwäche nicht zu riskanten Überholmanövern ausnutzt, sondern eher den Domestiken spielt. "Es ist so, als ob du bei der Tour de France, bei einer Bergetappe, einen Platten hast und dein Teamkollege macht sich mit dem schärfsten Rivalen auf und davon", sagt Alonso. "Das war ein bißchen schwer zu verstehen."
Nun sind sie alle wieder Freunde
Verrat im eigenen Lager? Fisichella fiel aus allen Wolken. Eben noch hatte er mit Alonso munter über den Aufenthalt in Schanghai, die zwei freien Tage nach dem Grand Prix von China, geplaudert und nicht die leiseste Ahnung verspürt, was Alonso der Weltpresse kurz darauf über den Mannschaftsgeist des Römers erzählen würde. Die Attacke quittierte Fisichella, von Renault mit einer Vertragsverlängerung belohnt, mit einem Hinweis auf die "Realität" des Rennens (Siehe auch: Keine Ruhe bei Renault: Alonso attackiert Fisichella).
Alonso schlüpfte ein paar Runden vor Schluß wieder an seinem auffällig gemächlich fahrenden Teamkollegen vorbei auf Rang zwei: "Sonst wäre er wohl nur Dritter geworden", sagte Fisichella und fand bald eine Erklärung für die "überraschende" Sicht Alonsos: "Vielleicht steht er ein bißchen unter Druck." Die Teamleitung beeilte sich am Donnerstag, ein Ventil zu öffnen. Kaum entwickelte sich das Thema zum Gespräch des Fahrerlagers, da versammelte Teamchef Briatore Alonso, Fisichella und den Technischen Direktor Symonds zum Gespräch. Nun sind sie alle wieder Freunde.
Alonsos Kritik war nicht das Produkt des Frustes nach der Niederlage von Schanghai. Der 25 Jahre alte Spanier hat ganz bewußt die Konfrontation gesucht. Als wolle er mit einem Aufschrei zum richtigen Zeitpunkt die letzten Kräfte mobilisieren. Für zwei Rennen noch wird sich die Renngemeinschaft, gespalten in ein englisches (Chassis) und ein französisches Lager (Motor), wohl zusammenreißen. Dann wechselt Alonso zu McLaren.
Gewagte Taktik
Diese Taktik ist gewagt. Aber vermutlich blieb dem Weltmeister nichts anderes übrig. Denn er trägt das Gefühl, nicht angemessen respektiert zu werden, schon länger mit sich herum. Briatore ignoriert die Bitte Alonsos zum Beispiel, den Renningenieur zu wechseln, schon lange. Zwar wurde Alonso mit dem Mann an seiner Seite Weltmeister. Was aber ist die Zusammenarbeit in heiklen Phasen wie am Sonntag wert, wenn wegen einiger Fehleinschätzungen kein hundertprozentiges Vertrauen besteht?
Alonso reifte bei Renault vom Talent zum Weltmeister. Solche Siegertypen begnügen sich nicht mit der Rolle des Piloten. Sie wollen Einfluß. Diese Entwicklung stieß bei Renault offensichtlich an Grenzen. Jetzt hat er sie gesprengt, so wie einst Schumacher denselben Chefs (unter Briatore und Symonds bei Benetton) im richtigen Moment aus der Umklammerung entkam. Der Rheinländer wuchs bei Ferrari vom Piloten zum überragenden Steuermann heran. Alonso hat das Potential, ihm zu folgen. Und den nötigen Mut.
