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Doping-Szene Deutschland : Schon Hitler nahm Testosteron

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Die deutsche Doping-Tradition von der Panzerschokolade bis zum DDR-Komplex mit Langzeitwirkung. Von manipulierten Ausdauerleistungen vor 1900 bis zum aktuellen Mißbrauch im Nachwuchssport.

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          Der deutsche Radrennfahrer Danilo Hondo, dem in zwei Dopingproben die Einnahme von Stimulantien nachgewiesen wurde, steht in einer langen Tradition. Aufputschmittel wurden von den Soldaten der beiden Weltkriege konsumiert: um ihnen die Todesangst zu nehmen und ihre Aggression zu steigern. Der Einzug dieser Substanzen in den Leistungssport war nach solchen Erfahrungen nicht mehr aufzuhalten. In den sechziger Jahren begann dann die "anabole Periode", die vom systematischen Doping der DDR auf die Spitze getrieben wurde. Etwa zwanzig Jahre waren die DDR-Wissenschaftler dem Rest der Welt voraus. Heute wird international so gedopt, wie es die DDR-Spezialisten bis 1989 erdachten.

          Das Doping mit anabolen Steroiden hat den Weltsport verändert. Seit Mitte der sechziger Jahre explodierten die Leistungen, Rekorde wurden pulverisiert, und lange ignorierte man die schrecklichen körperlichen, seelischen und sozialen Veränderungen der Gedopten. Experten sind sich einig, daß Steroide heute noch die "preiswerte" Dopingbasis darstellen, auch wenn Manipulation mit dem Blut seit etwa zehn Jahren die Palette der Sportbetrüger erweitert hat. Einer der Ursprünge liegt in Deutschland. Hier wurde 1935 das Hormon Testosteron synthetisiert und als Testoviron (Testosteron-Enanthat) 1937 zur Therapie von Hormonmangel zugelassen. Allerdings nicht etwa, damit die Athleten des Führers besser laufen und springen konnten: Die Gewinnung dieses Botenstoffes stand im Fokus der nationalsozialistischen Rassenzüchtung. Es sollte die Zeugungsfähigkeit verbessern und wurde auch Nazi-Größen verschrieben. Adolf Hitler bekam es von seinem Leibarzt Morell.

          Mißbrauch mit staatlicher Förderung

          Im deutschen Sport wurden Steroide trotz solcher Pioniertaten erst spät eingesetzt. Dennoch steht fest, daß Deutschland auf eine vielfältige Dopingtradition zurückblicken kann. Die menschenverachtende Konsequenz im Leistungssport der DDR etwa ist beispiellos: Das konspirative Zwangsdoping wurde an jährlich mindestens 2000 Kaderathleten beider Geschlechter und spätestens vom Jugendalter an ausgeführt. Das wohl komplexeste Dopingsystem der Geschichte beruhte darauf, daß Pharmaindustrie und Sport zugelassene Heilmittel sowie Experimentalstoffe wie Hormonpräparate suchten und anwandten - ein Mißbrauch mit staatlicher Förderung, mit Wissen der Staatspartei SED und mit Beteiligung etwa des ehemaligen volkseigenen Betriebes (VEB) Jenapharm. Die Sportler wurden allerdings nur selten informiert.

          "Abgesichert" wurde das perfide System, das nur ganz wenige zaghaft in Frage zu stellen wagten, durch den Staatssicherheitsdienst. Aufwendige Technologien und Einsickern von DDR-Ärzten in die internationalen Kontrollfunktionen ermöglichten das perfekte Unterlaufen des Wettkampfkontrollsystems, so daß "länger-höher-früher" dosiert werden konnte als bei den Konkurrenten. Der Vorsprung der DDR-Methoden beträgt etwa zwanzig Jahre: Heute wird so gedopt, wie es die über tausend DDR-Spezialisten bis 1989 erdacht und praktiziert haben. Sie arbeiten zu einem großen Teil noch immer im Sport.

          "Drüsenpräparate" machen "bullenstark"

          Die friedliche Revolution vor 15 Jahren ermöglichte die Enttarnung des gigantischen geheimen Doping-Komplexes, dessen gesundheitlich schwer geschädigte Opfer noch heute Hilfe benötigen, oft jedoch nicht oder nur mühsam zu ihrem Recht kommen. Die Aufarbeitung, von den Sportorganisationen nicht gerade erwünscht, ist mit den Namen Brigitte Berendonk und Werner Franke verknüpft. Die Olympiateilnehmerin 1968 und 1972 und der Mikrobiologe aus Heidelberg sorgten für die nötige Öffentlichkeit, um eine Auseinandersetzung zu erzwingen. Bereits nach zwei Jahren legten sie eine faktendichte Darstellung vor, die gerichtlichen Überprüfungen mühelos standhielt.

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