Trainerkongress : Der kluge Fehlpass
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Interpretationsspielraum: Welcher rote Strich ist ein kluger Fehlpass, welcher ein falscher Fehlpass? Bild: Opta
Bei ihrem jährlichen Treffen feiert sich die deutsche Trainergilde und fachsimpelt über neue Fußballtaktiken. Chefausbilder Wormuth fordert paradoxe Strategien und sorgt sich um seinen Sohn und die Position des Außenverteidigers.
Die Fußballfans müssen in Zukunft vielleicht ihr Verhalten überdenken. Denn trotz der Tendenz zum stets positiv eingestellten Event-Publikum sind bislang bei Fehlpässen doch noch ein Raunen und Nörgeln oder auch Pfiffe im Stadion zu vernehmen. Solche Äußerungen der Unzufriedenheit erden den Sport. Wenn es nach Frank Wormuth geht, muss der Zuschauer aber künftig zumindest manches vermeintliche Missgeschick zu schätzen lernen als paradox anmutende Strategie. „Ich rechne mit dem geplanten Fehlpass als taktischem Mittel“, sagte der Trainerausbilder des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) am Rande des Internationalen Trainerkongresses des Bunds deutscher Fußballlehrer (BDFL) in Mannheim.
Da Spielgestaltung angesichts immer kompakterer gegnerischer Defensiven immer schwieriger werde, müssten sich Teams überlegen, wie sie dem Gegner den Ball so überlassen können, dass es zum eigenen Nutzen sei: Eben mittels eines geplanten Fehlpasses in Regionen, in denen der Gegner nur bedingt glücklich ist mit dem Ballbesitz, während der Weg zum Tor nach schneller Rückeroberung dafür umso leichter wird. Die Strategie klingt interessant. Mal sehen, ob der Fan dem Trend zum geplanten Fehlpass mit Applaus folgen wird.
Die deutschen Trainer werden Wormuths These sicher eifrig diskutieren. Die 1100 mindestens mit einer A-Lizenz des DFB ausgestatten Teilnehmer des dreitägigen Trainerkongresses erweckten jedenfalls einen sehr wissbegierigen Eindruck. Sie scheinen auch überzeugt, dass sie mehr und mehr zu Hauptakteuren im Fußballgeschehen aufsteigen. Ein Werbeplakat in der Lobby des Congress Center Rosengarten passt da ganz gut zur Grundstimmung. Einer der zahlreichen Anbieter auf dem boomenden Markt der Fußball-Analysesoftware wirbt mit dem Satz „Mach Dein Team unschlagbar.“ Die Spiele gewinnt in der Wahrnehmung heutzutage eben der Feldherr an der Seitenlinie und nicht mehr die Spieler-Ansammlung auf dem Feld.
Selbstbewusste Trainergilde
So selbstbewusst präsentieren sich jedenfalls die großen und kleineren deutschen Trainer im Glanze des Gewinns der Weltmeisterschaft, den die DFB-Trainerausbilder Frank Wormuth und Bernd Stöber im zentralen Vortrag der Veranstaltung analysierten. Sie legten dar, dass die deutsche Elf wegen einer modernisierten und zielorientierteren, auf schnelle Abschlüsse ausgerichteten Form des spanischen Tiki-Taka und einer mannschaftlichen Kompaktheit sowie ausgeprägten Teamgeistes nicht nur verdient gewonnen habe, sondern auch der taktische Trendsetter des Turniers in Brasilien gewesen sei.
Die restlichen Halbfinalteilnehmer hätten derweil kaum Innovatives geboten. Beim WM-Zweiten Argentinien habe allein Lionel Messi das reine Sicherheitsdenken um kreative Momente bereichert. Brasilien sei mit Ausnahme des Einzelkönners Neymar eine reine Enttäuschung mit erstaunlich großen Räumen zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen gewesen. Die Niederlande und deren Trainer Louis van Gaal hätten wenigstens mit Variabilität in der taktischen Ausrichtung und der Fähigkeit zum Wechsel zwischen Grundordnungen einen Hinweis gegeben, wie wichtig solche Flexibilität werden könnte im Ideen-Wettstreit.
Die Ausführungen bargen kaum Überraschungen und konnten zugleich nicht das Unbehagen beseitigen, dass die neun damit beschäftigten DFB-Trainer allzu sehr auf Grundlage des Turnierergebnisses analysiert haben könnten. Der Weltmeistertitel gibt der deutschen Spielidee also erst einmal recht. Wie die Analyse wohl nach einer möglichen Achtelfinalniederlage gegen Algerien ausgefallen wäre?
Problemzone Außenverteidiger
Da gefiel die Demut des WM-Verlierers Volker Finke, der in seinem Vortrag durchaus humorvoll über die Vorbereitung seines kamerunischen Nationalteams referierte und tiefe Einblicke in die Verwendung von Videoanalysen gab, um dann am Ende mit Selbstironie auf das enttäuschende Resultat des zuvor hoch gehandelten, aber nach drei bitteren Niederlagen sang- und klanglos ausgeschiedenen Außenseiters zu verweisen: „Man hat dann ja gesehen, was es gebracht hat.“
Interessanter als die öffentlichen Analysen war schließlich ein weiterer erfrischender Gedanke, den Wormuth im kleinen Kreis ausführte: Dort erklärte der als Kandidat für den Posten des Löw-Assistenten gehandelte Badener sehr anschaulich die Ursache für die verbandsweite Problemposition Außenverteidiger, die im Nationalteam seit dem Rücktritt von Philipp Lahm mehr denn je Anlass zur Sorge gibt. „Da muss ich doch nur auf meinen Sohn schauen“, sagte Wormuth. „Der ist Linksfuß, will aber in seiner D-Jugend unbedingt im Zentrum spielen.
Und der Trainer stellt ihn da hin, weil er gewinnen will und nicht in erster Linie daran denkt, für Jogi Löw einen Linksverteidiger ausbilden zu wollen.“ Im Ergebnis sieht Wormuth gerade bei den Linksverteidigern auf Jahre hinaus kein hoffnungsvolles deutsches Talent. Oft würde die Position bei den Junioren-Bundesligateams zudem von ausländischen Talenten besetzt. Da sollten Wormuth und Co. tunlichst aufpassen, dass die möglichen Gegner bei künftigen Weltmeisterschaften dort nicht auch noch den klugen Fehlpass lernen.